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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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immer ein Wolf. Wir können unsere menschlichen Gedanken nicht festhalten, wenn wir uns verwandeln.« Ich runzelte die Stirn. Diese Aussage wurde mit jedem Tag, den wir mit Cole verbrachten, weniger wahr. Es war ein seltsam verwirrendes Gefühl, wenn etwas, auf das man sich so lange verlassen hatte, sich mit einem Schlag änderte, als fände man plötzlich heraus, dass die Schwerkraft ab sofort montags frei hatte. »Das ist eine überaus vereinfachte Darstellung. Aber so ungefähr sehen die Grundlagen aus.« Ich fühlte mich komisch bei einer Wendung wie überaus vereinfachte Darstellung; das hatte ich wohl nur so gesagt, weil Koenig sich so förmlich ausdrückte.
    »Also wird Grace …«
    »Vermisst, weil sie bei diesem Wetter immer noch sehr instabil ist. Wie sollte sie das ihren Eltern erklären?«
    Koenig dachte nach. »Wird man als Werwolf geboren?«
    »Nein, wir halten’s mit der guten alten Horrorfilmtechnik. Beißen.«
    »Und Olivia?«
    »Wurde letztes Jahr gebissen.«
    Koenig schnaubte. »Unglaublich. Ich wusste es. Ich bin so oft auf Hinweise gestoßen, die mich genau an diesen Punkt brachten, aber ich konnte es nicht glauben. Und als Grace Brisbane dann aus dem Krankenhaus verschwunden ist und nur dieses blutige Nachthemd von ihr übrig war … sie sagten, sie hätte im Sterben gelegen und dass sie auf keinen Fall aus eigener Kraft gegangen sein konnte.«
    »Sie musste sich verwandeln«, sagte ich leise.
    »Auf der Wache haben alle dir die Schuld gegeben. Sie haben nach einem Weg gesucht, dich ans Kreuz zu nageln. Ganz besonders Tom Culpeper. Heifort und die anderen fressen ihm aus der Hand.« Jetzt klang er ein wenig verbittert und mit einem Mal sah ich ihn in völlig neuem Licht. Plötzlich konnte ich ihn mir vorstellen, wie er zu Hause seine Uniform auszog, sich ein Bier aus dem Kühlschrank nahm, seinen Hund streichelte, fernsah. Ein richtiger Mensch, etwas vollkommen anderes als die uniformierte Persönlichkeit, die ich ihm zugeschrieben hatte. »Ihnen wäre nichts lieber, als dir mit dieser Sache endgültig das Genick zu brechen.«
    »Tja, das ist ja toll«, erwiderte ich. »Weil ich ihnen nur immer wieder sagen kann, dass ich nichts gemacht habe. Zumindest bis Grace stabil genug ist, um wieder aufzutauchen. Und Olivia …«
    Koenig schwieg einen Moment. »Warum haben sie sie getötet?«
    Mein Kopf war voller Bilder von Shelby, ihr Blick, der mich durch das Küchenfenster fixierte, die Verzweiflung und die Wut, die ich meinte, in ihren Augen gesehen zu haben. »Ich glaube nicht, dass man dabei von ›sie‹ sprechen kann. Es gibt eine Wölfin, die hinter all den Problemen steckt. Sie hat auch Grace schon einmal angegriffen. Und Jack Culpeper. Die anderen würden kein Mädchen töten. Nicht wenn es schon fast Sommer ist. Da gibt es genügend andere Möglichkeiten, um an Nahrung zu kommen.« Ich musste mich sehr bemühen, um die Erinnerung an Olivias übel zugerichteten Körper von mir zu schieben.
    Ein, zwei Minuten lang fuhren wir schweigend weiter.
    »Wir haben also folgende Situation«, sagte Koenig dann und ich war fasziniert davon, wie sehr er sich immer wie ein Polizist anhörte, egal, was er sagte. »Sie haben die Freigabe, das Rudel auszulöschen. Vierzehn Tage sind eine ziemlich kurze Zeit. Du sagst, dass einige von ihnen sich bis dahin wahrscheinlich nicht verwandeln werden und dass andere es gar nicht mehr können. Demnach hätten wir hier einen Massenmord vorliegen.«
    Endlich. Es war erleichternd und entsetzlich zugleich, Culpepers Plan mit so klaren Worten definiert zu hören.
    »Viele Möglichkeiten bleiben da nicht. Man könnte die Leute darüber informieren, was die Wölfe wirklich sind, aber –«
    »Das geht nicht«, unterbrach ich ihn hastig.
    »Ich wollte gerade sagen, dass ich das nicht für durchführbar halte. Den Bürgern von Mercy Falls zu eröffnen, dass in ihrer Nähe ein Wolfsrudel mit einer unheilbaren, ansteckenden Krankheit lebt, kurz nachdem wir rausgefunden haben, dass sie ein junges Mädchen getötet haben …«
    »Wäre keine gute Idee«, vervollständigte ich den Satz.
    »Und die einzige andere denkbare Möglichkeit wäre zu versuchen, mehr Tierschützer zu aktivieren, die das Rudel einfach als Wölfe schützen wollen. In Idaho hat das allerdings nicht funktioniert und ich fürchte, das lässt schon allein der Zeitrahmen nicht zu, aber …«
    »Wir haben daran gedacht, sie umzusiedeln«, sagte ich.
    Koenig hielt inne. »Erzähl weiter.«
    Ich rang um die richtigen

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