In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
rauschte Elaine herein und legte Schal und Mantel ab.
»Du hast aber früh angefangen«, staunte sie. »Kann ich dir was abnehmen?«
»Ich schau mir nur einen Fall noch mal an. Immer wenn ich glaube, jetzt ist endlich alles geklärt, taucht wieder irgendwas auf, was mich völlig durcheinanderbringt.«
Elaine rieb sich die Hände. »Hast du was dagegen, wenn ich die Heizung anmache?«
»Nein«, erwiderte Anya, die bereits wieder in ihre Überlegungen versunken war.
Mrs. Willard hatte gesagt, eines von Geoffs T-Shirts stamme aus dem Wohltätigkeitsladen und er hätte es noch gar nicht getragen. Es war natürlich denkbar, dass die Mutter log, um ihn zu schützen.
Konnte es sein, dass Liz’ DNA schon auf den T-Shirts gewesen war, als er sie kaufte? Sie ging ins Internet und googelte nach Willard. Er war vor vier Wochen freigelassen worden, und Liz war vor etwas mehr als einer Woche gestorben. Es war unwahrscheinlich, dass er drei Wochen lang die für die Entlassung gespendete Kleidung getragen hatte, vor allem, wenn sie ihm nicht passte. Aber egal, Hayden sollte die Daten anhand der Quittungen aus dem Laden überprüfen. Vielleicht hatte er sich in der Zwischenzeit auch etwas von Nicks Sachen geliehen.
»Ach, Anya!«, rief Elaine ungeduldig aus der Küche.
Was war denn nun wieder? Sie stand auf, durchquerte das Wohnzimmer, und erst als sie in der Küche die wärmende Sonne spürte, merkte sie, wie kalt ihre Finger waren. Elaine stand im Waschraum, der sich an die Küche anschloss, und beugte sich über die Maschine.
Murrend hatte Anya akzeptiert, dass Elaine auch im Dienst gerne die Mutter spielte. Hin und wieder hieß das, dass sie ihr im Haushalt half. Heute hatte Anya nichts dagegen einzuwenden.
»Die Maschine ist quer durch den ganzen Raum gerumpelt. Du hast sie nicht gleichmäßig gefüllt«, klagte die Sekretärin und richtete sich mit zwei ehemals weißen, nun aber rosa gesprenkelten T-Shirts wieder auf. »Ich fasse es nicht, dass du das schon wieder getan hast.«
Anya hatte die Wäsche in die Trommel hineingesteckt, ohne vorher nachzuschauen. Bens fehlende rote Socke hatte noch darin gelegen. Auch ihre Lieblingscaprihose war verfärbt. Es wollte einfach nicht besser werden.
»Wenn ich nachher die Post wegbringe, besorge ich einen Entfärber«, sagte Elaine. »Wenn wir es gleich waschen, kriegen wir die Farbe vielleicht wieder raus.«
Es hatte keinen Sinn, sich wegen einer Hose graue Haare wachsen zu lassen, fand Anya. Sie ging ins Büro zurück. Als sie sich hinsetzte, ergab die Vorstellung von Farbschlieren in der Wäsche plötzlich Sinn.
»Elaine, du bist ein Genie!«, rief sie. »Du hast mir gerade bei einem Fall geholfen. Wieso bin ich da nicht schon früher draufgekommen? Ich muss kurz weg. Bin bald zurück.«
Sie schnappte sich die Handtasche von der Küchenbank, schlüpfte an der Tür in die Schuhe und blieb kurz stehen, um zu sagen: »Der Entfärber steht unter der Spüle. Ich hab vorsichtshalber welchen auf Vorrat gekauft.«
42
Anya stand im rechtsmedizinischen Studentenlabor der Technischen Universität in der Innenstadt. Die für ihre forensische Ausbildung berühmte Universität hatte ein exzellentes Postgraduierten-Forschungsprogramm aufgelegt.
Leiter des Aufbaustudiengangs war ein Biochemiker, der seine Forschungen mit solcher Leidenschaft betrieb, dass er zu den Hauptinitiatoren des Weltkongresses der forensischen Medizin zählte und Konferenzen in Sydney und anschließend im südfranzösischen Montpellier organisierte.
Jean Le Beau war ein gutaussehender Mann mit pechschwarzem Haar und dunkelbraunen Augen. Jeder Mascara-Hersteller hätte weiß Gott was dafür gegeben, mit seinen Augenbrauen werben zu dürfen, hätten sie nur zu einer Frau gehört. Das aber war das einzig Weibliche an dem begnadeten Wissenschaftler. Jean war angespannt und seine Stirn von Dauerfurchen durchzogen. Anya hatte sich schon oft gefragt, ob so eine überragende Intelligenz nicht eine permanente Belastung war.
»Allo, Önya«, grüßte er mit einem Akzent, der selbst das kälteste Herz zum Schmelzen bringen konnte. Auch wenn es oberflächlich war, aber sie hatte an forensischen Konferenzen teilgenommen, da hatten verheiratete Frauen sich die wildesten Ausreden einfallen lassen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, nur um seine Stimme zu hören. Seine Vorträge waren jedes Mal bis auf den letzten Stehplatz ausgebucht. Nicht schlecht für jemanden, der über ein bestenfalls eingeschränktes Charisma
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