In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
zu sehen, obwohl der Postbote erst viel später kam. Die neugierige Person behauptete zwar, taub und blind zu sein, trotzdem schaffte sie es immer wieder, schon beim geringsten Hinweis auf einen Besuch oder ein Geräusch auf der Matte zu stehen.
Die Polizistin war von der Seniorin von gegenüber offenbar irritiert.
»Der genetische Beweis, den Sie haben, ist zweifelhaft. Die Verteilung des Bluts passt nicht zu einer Attacke, und es befindet sich auf mehr als einem Shirt.«
»Und?«
»Und jeder Jurastudent im ersten Semester würde Ihre Argumentation in sich zusammenfallen lassen. Die Wissenschaft kann eine Beweisführung untermauern, noch öfter aber kann sie sie vernichten.«
»Also darauf haben Sie und diese Slater-Schlampe es abgesehen? Sie sind so scharf darauf, sich einen Namen zu machen, dass Sie unbedingt beweisen wollen, dass Willard es nicht gewesen ist, koste es, was es wolle. Ach, und dass Sie uns über die Fernsehnachrichten haben wissen lassen, auf welcher Seite Sie stehen, fand ich doch ziemlich feige.«
Anya kam die Galle hoch, als sie mit Veronica Slater in Verbindung gebracht wurde. Die Vorstellung, sie könne mit dieser Frau gemeinsame Sache machen, nur um ihre Karriere voranzubringen, war absolut ekelerregend. Anya wollte auf etwas einprügeln – und zwar fest. Als Erstes dachte sie an Slaters Kopf. Gleich darauf folgte Sorrenti. Sie versuchte, ihre Wut in den Griff zu bekommen, und öffnete und ballte die Fäuste.
»Detective, ich glaube, wir sollten …«
»Halt! Da gibt es kein ›wir‹.« Sorrentis Gesicht sah aus, als würde es jeden Moment explodieren. »Sie haben mit dieser Ermittlung nichts zu tun. Mischen Sie sich gefälligst nicht ein. Sie sind Gift. Alf Carney haben Sie abgesägt, aber mich werden Sie nicht fertigmachen.«
Sie wendete ihr den Rücken zu und blieb noch einmal kurz stehen, um Frau Spitzeltratsch »einen guten Tag noch« zuzurufen, worauf diese ihr grinsend nachwinkte.
Dann blieb sie am Ende des Bürgersteigs stehen und rief: »Ach übrigens, Nick Hudson hat uns eine Klage wegen Belästigung angedroht. Dabei hat sein Anwalt auch Sie erwähnt.«
Anya lehnte sich gegen die Tür und kam sich vor, als hätte sie eben ein paar Runden im Boxring durchgestanden. Drinnen klingelte das Telefon, und sie stieß müde die hölzerne Tür auf. Nirgends ein Anzeichen von Elaine, wahrscheinlich war sie gerade auf der Post.
Mit zitternden Händen nahm sie im Büro den Hörer ab.
Das Museum gab Bescheid, dass das Ergebnis der DNA-Analyse von Nick Hudsons Hund da sei. Es gab keine Übereinstimmung mit dem Tierhaar, das auf Eileen Randalls Leiche gefunden worden war.
Es gab keinen Beweis, dass Nick Hudson etwas mit dem Mord zu tun hatte.
Anya sackte auf dem hellen Überzug der Wohnzimmercouch zusammen. Vielleicht hatte Meira Sorrenti sogar Recht. Sie suchte tatsächlich nach Unstimmigkeiten im Randall-Mord, weil Alf Carney die Autopsie vorgenommen hatte. Von ihren Zweifeln zum Zeitpunkt des Todes einmal abgesehen, war es alles andere als ausgeschlossen, dass Geoff Willard das Mädchen vergewaltigt und ermordet hatte und dass er dasselbe mit Liz Dorman getan hatte.
Das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war eine Klage. Mit aller Macht versuchte sie, sich einzuschärfen, dass Geoffrey der Serientäter war, aber irgendetwas ließ ihr keine Ruhe. Melanie Havelocks angeblicher Liebesbrief mit Foto und die Frau, die ermordet worden war, als er im Gefängnis saß, passten einfach nicht ins Bild. Und was hatte es mit diesem ominösen Mal auf der Hand des Täters auf sich, von dem Louise Richardson gesprochen hatte? Sie beschloss, noch einmal ganz von vorn anzufangen und sich die Protokolle, die sie nach den Vergewaltigungen aufgenommen hatte, ein zweites Mal vorzunehmen. Vielleicht hatte sie ja etwas übersehen – egal, was.
44
Als Anya in das Zentrum für sexuelle Übergriffe kam, saß Mary Singer mit gerunzelter Stirn am Computer. Ihr Haar war zerzauster als sonst.
»Ich wollte dich gerade anrufen. Hast du heute schon in die Zeitung geschaut?«
Die aktuelle Nachrichtenlage war das Letzte, was Anya heute Morgen interessiert hatte. Sie schüttelte den Kopf.
»Im Herald steht ein Artikel über einen Vergewaltiger, der Fotos seines Opfers auf seine Homepage gestellt hat.«
»O Gott! Die arme Frau«, entgegnete Anya. »In welchem Land?«
Mary blickte über ihre Großmutterbrille hinweg. »Anya, es muss aus einem unserer Zentren stammen.«
Telefone klingelten, aber niemand
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