In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
eigentlich nichts ausmachen. Sie sehnte sich so sehr danach, Ben zu sehen, dass sie sich nicht bis zum Ende seiner Stunde gedulden konnte. Andere Mütter sammelten sich vor dem kindersicheren Tor und stellten die neueste Freizeitsportmode zur Schau. Den perfekt geschminkten Gesichtern, den Frisuren und Figuren nach zu schließen, verbrachten sie den größten Teil des Tages mit Körperpflege und Sport. Anya fragte sich, ob es ihnen wohl schwerfiel, dem eigenen Ideal gerecht zu werden.
Sie durchquerte das Tor, betrat die Vorschule und sah sich rasch nach ihrem Vierjährigen um.
»Kann ich Ihnen helfen?«, erbot sich eine Frau, die eine über und über mit Flitter bedeckte Pappkartonkrone trug.
»Ich will Ben abholen.«
»Aber natürlich, Mrs. Hegarty. Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe.« Sie setzte sich wieder an das Tischchen voller zerknülltem Papier. Drei Jungen mit flinken Fingern klebten die Knäuel auf bunte Kartons. »Er ist draußen und spielt mit den anderen Jungs«, sagte sie. »Er hatte einen großartigen Tag heute.«
Anya sparte sich die Mühe, das »Mrs. Hegarty« zu korrigieren, und fragte sich, ob der Tag eines Kindes wohl jemals anders als »großartig« genannt wurde. Aber wie dem auch sei, sie wusste, dass ihr Sohn gern in die Vorschule ging. Auf dem riesigen Spielplatz ließ sie den Blick über Klettergerüst, Schaukeln, das Fort und den Fahrradparcours schweifen. Weit hinten spielten ein paar Jungen Fangen, darunter auch die unverkennbare Gestalt ihres Sohnes, der herumlief, lachte und den anderen etwas zurief. Das Herz ging ihr auf in solchen Momenten – Momenten, die für die meisten Mütter selbstverständlich waren. Alltäglichkeiten, die sie kaum je zu Gesicht bekam, geschweige denn teilen konnte. Ein kleiner Junge, der mit seinen Freunden rannte, so schnell seine Beinchen ihn trugen. Keine Ängste, keine Sorgen, ganz bei sich selbst.
Langsam ging sie hinüber und musste dabei einem Dreirad und einem Fußball ausweichen. Die Kinder schienen sie nicht zu bemerken, als sie sich zu ihnen stellte. Sie waren völlig außer Puste.
»Und was machen wir jetzt?«, keuchte der mit dem rötesten Gesicht.
»Wie wär’s mit Ninja spielen?«
»Kann ich mitspielen?«, fragte einer von den Größeren.
»Nö. Wir wollen dich nicht dabeihaben«, bestimmte Ben.
Der andere fing zu plärren an: »Ich will aber mitspielen.«
»Nein!« Ben blieb stur.
Anya hätte nicht sagen können, weshalb er sich so verhielt, und erst als er sich in Kampfposition gestellt hatte, rief sie ihn beim Namen. Ben erstarrte, einen schuldbewussten Blick im Gesicht.
Anya nahm ihn in den Arm. »Hallo, Jungs, was treibt ihr denn so?«
Ben antwortete: »Wir spielen Jedi.« Und während die übrigen sechs Jungen davonliefen, um es mit irgendeinem Bösewicht aufzunehmen, stand der Junge, dem ihr Sohn sich entgegengestellt hatte, mit starrem Blick da.
Ben ging auf seine Mutter zu und schlang ihr beide Arme fest um die Hüfte. »Mum, ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb.« Sie kniete, so dass sie mit ihm auf Augenhöhe war, und flüsterte: »Ich geh schon mal rein und hol deine Tasche.«
Drinnen traf sie die Erzieherin, von der Ben am meisten erzählte. Miss Celeste war eine hübsche junge Frau in hellgelber Latzhose. Große Glitzerkugeln baumelten an ihren Ohren. Sie saß auf dem Boden und sang Kinderlieder mit den Kleinen, die Konfetti, Legosteine und anderes Spielzeug aufsammelten.
Anya wartete eine Gesangspause ab, und Miss Celeste stand auf.
»Hallo, ich wollte mich nur erkundigen, wie Ben sich so macht, vor allem zusammen mit den anderen?«
Miss Celeste machte ein ernstes Gesicht. »Ich wollte sowieso mit Ihnen reden. Er ist sehr gesellig und spielt auch gern, aber das Ausschneiden muss er noch üben. Mit der Schere ist er deutlich hintendran, und es ist sehr wichtig, dass er das kann, bis er in die Schule kommt.« Sie hatte ein beinahe mitleidiges Gesicht.
Anya bemühte sich, das Problem in all seiner Tragweite zu ermessen. »Und wie macht er sich sonst so?«
»Fein, aber zum Werken müssen wir ihn holen gehen. Er ist die ganze Zeit draußen mit den Jungs am Toben. Für die Lese- und Schreib-Vorübungen interessiert er sich noch nicht so. Aber in dieser Beziehung sind die Jungs oft ein bisschen später dran.« Die Erzieherin winkte einem anderen Kind zum Abschied und machte sich dann wieder daran, die auf dem Boden verstreuten Bastelsachen aufzuräumen.
Anya bückte sich, um zu
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