In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
es mit der Angst, ihr Sohn könne zu schnell groß werden. Kinder sollten Spaß haben, unbekümmert sein. Sie sollten sich nicht um die Missstände der Gesellschaft sorgen müssen. Niemand hatte Ben aufgetragen, sich für das verantwortlich zu fühlen, was anderen zustieß, oder es sich zur Aufgabe zu machen, sie zu beschützen. Das war eine Lehre, die gleichermaßen auf sie selbst zutraf.
18
Am Montagmorgen um halb acht parkte Anya hinter dem zivilen Auto der Kriminalpolizei auf der Hastings Road. Nach dem gemeinsamen Wochenende mit ihrem Sohn lächelte sie noch, als sie den Sicherheitsgurt löste und das Haus in Castle Hill bewunderte. Der akkurat gepflegte Rasen und die Buchsbaumhecken verliehen dem Haus im Kolonialstil etwas beinahe Märchenhaftes. Anya holte die Arzttasche und eine forensische Asservatenmappe aus dem Kofferraum. Hinter den zweigeschossigen Villen des ruhigen, stillen Viertels – die meisten davon mit Dreiergarage – ragten hohe Eukalyptusbäume auf. Behaglich raschelten die Blätter im Wind.
Die ganze Gegend stank förmlich nach Geld, nach dem, was man gemeinhin »neureich« nennt. Der Geldadel hätte in Weideland oder Grundstücke mit Seeblick investiert. Aber diese Menschen legten ihr Geld – in der Hoffnung auf eine höhere Lebensqualität – stattdessen in große Häuser und landschaftsarchitektonisch gestaltete Gärten an: in eine sichere Umgebung für die Kinder.
Und nun war diese Sicherheit zerstört worden.
Als Anya über die Auffahrt zum Anwesen hinaufging, bemerkte sie den weißen Puder auf Deckel und Griffen der beiden großen, fahrbaren Tonnen an der Straße.
Detective Sergeant Meira Sorrenti von der Sonderkommission Sexualverbrechen begrüßte Anya auf dem Rasen vor dem Haus. Das kurze, schwarze Haar der dunkelhäutigen Polizistin passte gut zu ihren großen, runden, braunen Augen. Sie hätte problemlos einer ganzen Reihe von Ethnien angehören können. Die beiden hatten sich noch nie getroffen, aber Anya wusste, dass die kürzlich erfolgte Beförderung und Versetzung Meiras in die Sonderkommission zu einiger Unruhe unter den Rechtsmedizinern geführt hatte. Gerüchten zufolge war Meira überzeugt davon, dass Ärzte inkompetent waren und Ermittlungen eher behinderten denn voranbrachten.
»Wir haben den Tatort gesichert. Das Opfer ist drinnen. Eine Jodie Davis. Sie hat das Gesicht des Täters nicht sehen können, wir bauen also darauf, dass Sie uns was liefern.«
Anya konnte keine Feindseligkeit spüren. »Ist sie schwer verletzt?«
Die Ermittlerin führte sie über den Rasen zu einem Seitentor, das mit blau-weißem Polizeiabsperrband gesichert war.
»Hat Prügel einstecken müssen. Der Kerl ist da vorn über sie hergefallen, als sie gerade den Abfall rausbrachte.«
Sie deutete durch das Tor auf einen Spurensicherungsmann in Schutzanzug und blauen Handschuhen, der den Bereich fotografierte. »Dann hat er sie hier herübergezerrt, und er muss wohl eine dunkle Kappe und Handschuhe getragen haben. Er hat ein Messer gehabt und gedroht, er bringt sie um, wenn sie einen Laut von sich gibt. Sie erinnert sich, dass er sie einmal vergewaltigt hat. Danach, sagt sie, ist sie in Ohnmacht gefallen.«
Anya sah das Verbrechen fast vor sich. Die nächsten Nachbarn hinter ihrem imprägnierten Kiefernzaun hatten wahrscheinlich keine Ahnung, was da in unmittelbarer Nähe geschehen war.
»Dann hat er das Haus also nicht betreten?«
»Anscheinend nicht. Es fehlt nichts, und im Obergeschoss haben zwei kleine Kinder geschlafen. Es sieht nicht so aus, als hätte jemand sie angefasst. Gott sei Dank.«
»Hat sie einen Ehemann?«
»Drinnen. Dürfte sauber sein. Der arme Kerl hat sie gefunden, als er von einer Betriebsfeier heimkam. Die Hintertür war nicht abgesperrt und die Frau nirgends zu sehen. Das war gegen elf Uhr. Als er sie dann fand, hat er die blauen Flecken gesehen, ist in Panik geraten und hat den Hausarzt gerufen, mit dem er wohl schon ewig befreundet ist. Der hat dann die Kripo vor Ort gerufen, und die wiederum haben uns verständigt.«
Meira vergrub die Hand in der Tasche ihrer grauen Jacke. »Der schlaue Hund hat sogar noch die Tonnen rausgestellt, als er fertig war.«
Wahrscheinlich um den Anschein der Normalität aufrechtzuerhalten, überlegte Anya. »Sie haben nicht zufällig das Kondom gefunden, falls er eines benutzt hat?«
»Wenn er irgendwas in die Tonne geworfen hat, dann war das entweder genau vorausgeplant, oder er hatte viel Glück. Die Müllabfuhr war schon
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