In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
gemischte Gefühle, was ihre Anwesenheit hier anging. Streng genommen musste man das, was sie zu sagen hatte, als Verletzung der Schweigepflicht werten, andererseits war es ihre Bürgerpflicht, die Polizei bei der Verhütung von Schwerverbrechen zu unterstützen.
Endlich löste sich Detective Inspector Hayden Richards aus der Gruppe, die sich vor dem Klinkergebäude um ihn gebildet hatte. Richards war nicht nur ein brillanter Rhetoriker, er verfügte auch über mehr Erfahrung in der Aufklärung von Sexualverbrechen als irgendjemand sonst in diesem Bundesstaat, und er nahm sich stets die Zeit, sein Fachwissen weiterzugeben.
Die meiste Zeit seines Lebens war er unglaublich fett gewesen, nun aber hatte der Fastfood-Süchtige einen erheblichen Teil seines Körperumfangs verloren und konnte gut und gern als »übergewichtig« durchgehen. Anya, die den Kriminalpolizisten seit über sechs Monaten nicht gesehen hatte, staunte nicht schlecht über sein verändertes Äußeres.
Er begrüßte die Besucherin mit einem stolzen Lächeln und schüttelte ihr kräftig die Hand. Es hätte Anya nicht gewundert, wenn er eine Pirouette gedreht hätte, um sein runderneuertes Erscheinungsbild ins rechte Licht zu setzen.
»Du siehst gesünder aus denn je«, platzte Anya heraus, bremste sich aber sogleich. Und wenn der Gewichtsverlust nun von einer Krankheit herrührte, am Ende gar von Krebs? Sie biss sich auf die Lippe.
»Du siehst aber auch gut aus.« Hayden grinste unter dem dunklen Schnauzer hervor. »Es gibt einfach keinen besseren Weckruf als Diabetes und den Verdacht auf Krebs.«
»Tut mir leid, das zu hören«, stammelte Anya.
»Ach was, ansonsten hätte ich nie mit dem Rauchen aufgehört. Ich hab sogar festgestellt, dass man Gemüse essen kann!« Er lud sie ein, sich wieder auf die Bank zu setzen. »Ich hatte Glück, dass es gerade jetzt passiert ist. Aber die Vorlesungspause dauert nicht ewig, und ich nehme nicht an, dass das ein Freundschaftsbesuch ist. Also, was hast du für mich?«
Anya lächelte. Sie mochte seine Direktheit und wusste, sie konnte sich auf seine Diskretion verlassen.
»Möglicherweise einen Seriensexualverbrecher. Er ist selbstsicher, unverfroren und hat sich bei wenigstens einer Tat Zeit für eine Essenspause genommen.«
Hayden zückte ein Päckchen Kaugummi und bot Anya einen Streifen an, doch die schüttelte den Kopf.
»Ermittelt die Sonderkommission für Sexualverbrechen?«
»Noch nicht. Rechtlich gesehen darf ich sie gar nicht einschalten. Bisher hat erst eines der Opfer Anzeige erstattet. Die andere, eine Apothekerin, hat es sich kurzfristig anders überlegt. Ich habe Angst, dass sich womöglich keine weiteren Opfer melden, oder falls doch, dass sie sich weigern, sich auch nur untersuchen zu lassen.«
Hayden runzelte die Stirn und ließ eine Kaugummiblase platzen. »Droht er, sie umzubringen, falls sie jemandem etwas sagen?«
»Allerdings. Die ›Ich weiß wo du wohnst‹-Nummer.«
Er verdrehte die Augen. »Lektion Nummer eins im Vergewaltiger-Grundkurs. Wie kommst du darauf, dass sie die Untersuchung verweigern könnten, wenn sie zu euch auf die Station kommen?«
»Wir haben inzwischen die Anweisung, Opfer und Verletzungen, insbesondere der Geschlechtsteile, zu fotografieren.«
»Blödsinn! Seit wann?«
»Diese Woche. Natürlich können die Opfer es verweigern, aber allein schon die Frage hat in etlichen Fällen dazu geführt, dass eine Untersuchung kategorisch abgelehnt wurde. Es braucht oft nur das Wort ›Fotografie‹, und schon machen Frauen, die ohnehin bereits sehr verletzlich sind, völlig dicht.«
Hayden gab den Kugelfisch und stemmte dazu beide Hände in die Hüften. Im Sitzen aber war die Wirkung gleich null.
»Und seitdem permanent alle möglichen intimen Fotos ins Internet gestellt werden, vertraut natürlich auch kein vernünftiger Mensch darauf, dass die Fotos bei der Polizei unter Verschluss bleiben. Welcher Volltrottel hat sich den Quatsch denn ausgedacht? Wohl kaum jemand, der schon mal mit einem Opfer gesprochen hat?«
»Offiziell kommt es aus dem Ministerium. Lyndsay Gatlow hat darauf gedrängt, und offenkundig hat sie die nötige Rückendeckung.«
Langsam schüttelte er den Kopf. »Diese Teufelin würde sogar die eigene Brut verschlingen, wenn das für ihre Karriere förderlich wäre. Würde mich ja schon interessieren, wie sie das fände, wenn ich ihre Muschi fotografiere.«
Wieder lächelte Anya. Das war einer der Gründe, weshalb sie den Kriminalpolizisten so
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