In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
Verteidigungsstrategie vor Gericht könnte das für Ihren Mandanten nach hinten losgehen.«
Was Veronica Slater aber nicht im Mindesten beeindruckte. Das gezwungene Lächeln verschwand. Sie rollte das rosa Gummiband von einem dicken Stapel Dokumente herunter, und anstatt ein Beispiel auszusuchen, schob sie gleich den ganzen Packen herüber. »Das sind die Kopien der Verhandlungsprotokolle und Sachverständigengutachten. Ich möchte, dass Sie Eileen Randalls Autopsiebericht studieren und ihre Wunden mit denen vergleichen, die die Dorman abbekommen hat. Sämtliche Abweichungen bitte anstreichen.«
»Und Ähnlichkeiten?«
Das falsche Lächeln kehrte zurück.
»Damit werden wir uns befassen, wenn es so weit ist. Ich weiß zwar nicht, weshalb die Polizei so scharf darauf ist, ausgerechnet meinem Mandanten diese Vergewaltigungen unterzuschieben, aber ich will wissen, ob es irgendwelche Ungereimtheiten in den Aussagen der Opfer gibt.«
Anya entgegnete: »Ich nehme doch an, Sie werden den Schriftsatz der Polizei zu lesen bekommen, sobald Anklage erhoben wird.«
Veronica stand auf und zog sich den Minirock ein Ministückchen herab. »Wenn Sie den Bericht bis Montagvormittag fertig hätten? Mein Mandant sitzt in Untersuchungshaft, und wir wollen doch, dass er gegen Kaution entlassen wird.«
Das ganze Wochenende für Veronica zu arbeiten war nun wirklich das Letzte, was sie wollte. »Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte sie und merkte, wie ihr Gesicht rot anlief.
»Hervorragend.« Veronica sah auf die Uhr und griff nach ihrer fleckenlosen Lederaktentasche. »Ich will Dan nicht warten lassen«, flötete sie und stöckelte davon.
Elaine kam wieder herein. »Die Frau ist doch die reinste Zumutung, findest du nicht?«
Anya antwortete nicht. Ihr war die Unterschrift auf dem Autopsiebericht ins Auge gefallen. »Auch das noch«, stöhnte sie. »Das verkompliziert natürlich einiges.«
»Wieso? Was will sie denn?« Elaine beugte sich vor, um die Dokumente besser sehen zu können.
»Der Pathologe und sachverständige Zeuge im Prozess gegen Willard war kein anderer als Alf Carney.«
27
Anya fuhr an die Strandhütte und lud den Kofferraum aus. Erst auf die letzte Minute hatte sie den Wochenendausflug gebucht, um den Schauplatz der Ermordung Eileen Randalls persönlich in Augenschein nehmen zu können, und sie war froh um die billige, aber ordentliche Unterkunft. Auf dem Weg nach Fisherman’s Bay hatte sich die übliche Freitagabend-Völkerwanderung über die Autobahn gewälzt. Und so was nennt man nun Ausflug, dachte sie, aber je dünner der Verkehr entlang der Küstenstraße wurde, desto entspannender – und befreiender – wurde die Fahrt. Selbst im Mondlicht war die Landschaft eindrucksvoll.
Sie stellte eine Kiste mit Lebensmitteln und Wein auf die Küchenbank und zog die Schiebetür auf. In der frischen Meeresbrise kühlte die Hütte beinahe schlagartig ab.
Das Schönste war, dass es keine Störungen gab, nur Abgeschiedenheit, die Seeluft und das Rauschen des Meeres. Und den Stapel von Unterlagen, der durchgeackert werden wollte. Die Wanduhr schlug acht Mal. Sie beschloss, ein wenig spazieren zu gehen und Milch und andere leicht verderbliche Lebensmittel zu besorgen. Und dann vielleicht eine Portion Fish-and-Chips, abgerundet mit einem dekadenten, fetttriefenden Becher Eis.
Die Bucht war kleiner, als die Bilder im Internet verhei ßen hatten, aber auf dem Weg in die Stadt lagen etliche Imbissbuden, Verleihgeschäfte für dies und das sowie ein Lebensmitteldiscounter. Zwei Cafés, ein Restaurant und sämtliche Imbissbuden bis auf eine waren geschlossen.
Im Pub fragte Anya, gegen die Jazzcombo anschreiend, nach, weshalb an einem Freitagabend praktisch überall geschlossen war. Die Frau hinter dem Tresen lachte nur.
»Schätzchen, die Leute sind hier rausgezogen, weil sie genug hatten von der Großstadt. Keiner von uns will sieben Tage die Woche rund um die Uhr arbeiten.« Sie schenkte ein Bier ein. »Ich geb dir einen Tipp. Wenn du morgen ein heißes Hähnchen willst, hol’s dir gleich in der Früh, sonst sind sie alle. Gebraten wird nur einmal am Tag.«
Anya musste lächeln. Die Touristen verlangten immer alles auf einmal – die Natur und die unverfälschte Atmosphäre eines Küstenstädtchens und dazu rund um die Uhr sämtliche Dienstleistungen.
»Wir haben die Touristen nie hergebeten«, sagte sie und steckte ohne zu zögern den Hundertdollarschein von ein paar Leuten ein, die alles andere als
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