In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
Zeitung, dankte dem Kioskbetreiber und marschierte an der Bäckerei mit ihren verlockenden Düften vorbei. Die Meerluft regt eindeutig den Appetit an, dachte sie mit einem Blick auf die Fahrrad fahrenden Kinder auf dem Bürgersteig, von denen jedes ein Gebäckstück aß. Hier strahlte alles Urlaubsatmosphäre aus, so dass es einfach unmöglich war, nicht entspannt zu sein.
Gleich hinter dem Friseur tippte ihr jemand auf den Rücken.
»Entschuldigen Sie«, sagte eine Frau im mittleren Alter. »Hatten Sie sich nach der Randall-Sache erkundigt?«
Die Frau trug einen breitkrempigen, unter dem Kinn gebundenen Hut. Und im Gegensatz zu den Touristen trug sie ein langärmeliges Hemd und lange Baumwollhosen. Ihre Hände waren rau und gebräunt. Sie war unverkennbar eine Einheimische, die sich vor der Sonne versteckte.
»Ja, ich hätte mich gerne mit dem damaligen Polizisten unterhalten, aber der ist in Ruhestand. Wissen Sie denn etwas über die Geschichte?«
»Sie dürfen den Leuten hier nicht übel nehmen, dass sie es sich genau überlegen, mit wem sie sprechen. Dieser Mord hat damals so ziemlich alle Geschäfte zum Erliegen gebracht. Und der ganzen Stadt ging der Tod des Mädchens sehr zu Herzen. Wir wollen nicht, dass das alles wieder aufgewühlt wird.«
»Das verstehe ich, aber ich bin Pathologin und hätte nur ein paar Fragen an Charlie Boyd gehabt.«
»Pathologin?« Sie bekam große Augen. »Wie in den Fernsehkrimis? Wieso haben Sie das nicht gleich gesagt?«
Erstaunlicherweise hatte sich vor ein paar Jahren noch niemand dafür interessiert, womit Anya ihren Lebensunterhalt verdiente. Jetzt war es plötzlich der letzte Schrei.
»Dann wird Charlie wahrscheinlich doch mit Ihnen reden.«
Ein Teenager auf einem Fahrrad sauste vorbei, und um ein Haar hätte er Anya umgerissen. Die Frau schrie ihm nach: »Das sag ich deiner Mutter, dass du wieder auf dem Bürgersteig gefahren bist, Jason Rogers.«
Anya lächelte. Die Leute waren letztlich doch überall gleich.
»Wissen Sie, wo ich Charlie finde?«
»Aber sicher doch, meine Liebe, unten am Kai. Da sitzt er normalerweise um diese Zeit. Sie können ihn gar nicht übersehen. Sieht aus wie der Weihnachtsmann, mit einem buschigen, silbernen Bart.«
»Ich danke Ihnen vielmals«, sagte sie und machte sich auf den Weg zum Pier.
Jugendliche sprangen immer einer nach dem anderen von den Stützpfeilern ins Wasser. Sie blieb stehen und sah seitlich zum Wasser hinunter.
»Da ist es tief. Da hat’s noch nie Probleme gegeben«, beruhigte ein Mann. Er gehörte zu den Springern und war es wohl gewohnt, dass Fremde dem Treiben besorgt zusahen.
Am Ende des hölzernen Steges saß ein Mann mit grauem Haar auf einem Kunststoffklappstuhl, neben sich eine lange Angelrute und einen Korb. Auf dem Schoß hielt er einen Fisch, der an ein Holzbrett geklemmt war. Ein kleines Radio dudelte.
Sie kam näher und erkundigte sich: »Mr. Boyd?«
»Psst«, mahnte er und lauschte gespannt den Schlagzeilen der Radionachrichten. Dann sah er mit halb zusammengekniffenen Augen zu seiner Besucherin auf. »Wer will das wissen?«
Anya stellte sich vor, und er änderte seine Sitzhaltung.
Sie beschloss, sachte auf das Thema zuzusteuern, und ließ sich auf einem Poller nieder. »Was haben Sie denn da erwischt?«
»Brasse. Schmeckt und hat Pfannengröße. Ich nehm nur, was ich essen kann«, erklärte er und bewunderte seine Trophäe.
»Sie sind ja wirklich gut gerüstet. Wir haben früher immer Forellen gefangen, im See, da, wo ich herkomme. Zentraltasmanien.«
Seine Augen leuchteten. »Da wollte ich schon immer angeln.« Er betrachtete Anya eine Weile intensiv, schien sie regelrecht zu taxieren.
»Ganz schön weiter Weg, nur um übers Angeln zu reden.«
Erleichtert, die Prüfung bestanden zu haben, erläuterte sie kurz ihre Aufgabe bei der Aufklärung der aktuellen Vergewaltigungen und die Bedeutung möglicher Verbindungen zum Mordfall Randall. »Ich möchte einen genauen Eindruck davon bekommen, was in der Nacht passiert ist, in der Eileen Randall gefunden wurde.« Der Wind frischte auf und blies ihr das Haar vors Gesicht. »Waren Sie dabei?«
»Eine der mit Abstand schlimmsten Nächte meiner achtunddreißig Dienstjahre«, erwiderte er und fing an, den Fisch vom Schwanzende her zu schuppen. »Mitzubekommen, wie die Tochter eines Freundes auf die Art umgebracht wird und dann auch noch die Nachricht überbringen zu müssen. Aber Sie haben mich wohl kaum ausfindig gemacht, um das zu hören.«
»Gab
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