In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
es am Tatort irgendwelche Ungereimtheiten?«
Er runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Wäre es möglich, dass sie an einer anderen Stelle ermordet und anschließend erst an den Strand gebracht wurde?«
Charlie drehte den Fisch um und entfernte die restlichen Schuppen. »Sie ist ganz klar am Strand umgebracht worden. Willard war bei der Leiche. Der Dreckskerl hatte sie geschändet und hatte noch ihr Höschen in den Fingern.« Er holte zu einem letzten Schaben aus. »Wie ein Fisch an der Angel.« Er sah Anya mit zermürbender Intensität an.
»Wieso wollen Sie das jetzt noch mal aufwühlen? Willard ist wieder draußen, und es gibt nichts, was man dagegen tun kann. Emily Randall hat in dieser Nacht nicht einfach nur ihre Tochter verloren. Sie hat ihren Lebensmut verloren.« Er sah mit halb zusammengekniffenen Augen nach einem gekenterten Surfbrett in der Ferne. »Nicht lang nach dem Prozess ist sie gestorben. Ihr Mann ist ihr ein paar Jahre danach gefolgt.«
Der Surfer tauchte wieder auf, und der alte Mann schien sich zu entspannen. »Ich bin nur froh, dass sie seine Freilassung nicht mehr miterleben mussten.«
»Gab es noch weitere Verwandte?«
Er schüttelte den Kopf und klopfte das Messer auf dem Brett ab. »Wieso interessiert Sie das?«
Anya sah sich auf dem Pier um. Angler packten ihren morgendlichen Fang zusammen und machten sich auf den Weg zurück ins Städtchen. Kreischend kreisten Möwen um den Abfall, der nach dem Ausnehmen der Fische ins Meer zurückgeworfen wurde.
»Ich untersuche einige alte Fälle, um sie mit aktuellen zu vergleichen. Alte Methoden kontra neue Techniken.«
»Sie sollten in die Politik gehen.«
Anya lächelte und meinte ein Grinsen unter seinem Bart zu erkennen. Der alte Mann tauschte die Messer. Das jetzige war biegsam, und er schlitzte damit den Fisch von den Kiemen bis zur Schwanzflosse auf. Man hätte meinen können, die Klinge sei ein Teil von ihm.
Anya bekam ihren Fisch lieber fertig ausgenommen und gekocht.
»Wissen Sie eigentlich, wie oft Willard auf das Mädchen eingestochen hat?«, fragte er, ohne aufzusehen.
»Ich habe Alf Carneys Bericht gelesen.«
»Aha.« Mit den Fingern zog Charlie die Innereien heraus. »Alf Carney – einer der Besten.«
Noch einer von Carneys Anhängern, dachte sie. Nur dass dieser ausnahmsweise zur Staatsanwaltschaft hielt und nicht zur Verteidigung.
»Es hat unglaublich viel Kraft gebraucht, um so oft und so tief zuzustechen«, sagte er. »Willard war ein verdammt kräftiger Hund. Eine Art natürlicher Ausgleich, wenn man so will.«
»In dem Bericht steht nichts darüber, ob Willard die Vergewaltigung und Ermordung Eileens eigentlich gestanden hat.«
»Hat er. Danach hat er’s dann mit der Angst gekriegt und uns irgendeinen Blödsinn aufgetischt, von wegen er hätte vor dem Fernseher gesessen. Er war praktisch eine lebende Programmzeitschrift. Hat das komplette Programm auswendig hersagen können und über nichts anderes geredet als über die Sendungen, die er sich angeschaut hat. Kein Wort hab ich ihm geglaubt von dem, was er uns in dieser Nacht weismachen wollte.
Aber egal, nach einer Sendung jedenfalls, wie hieß die noch, The Eleventh Hour glaub ich war’s, hat er sich auf sein Fahrrad gesetzt, um noch eine mitternächtliche Runde zu drehen, und da will er gesehen haben, dass was im Wasser treibt. Dann, behauptet er, hat er gemerkt, dass es eine Frau war, und er hätte sie an den Strand gezogen. Angeblich hätte sie da noch gelebt, deshalb hätte er sie wieder angezogen, und da hat Eileens Freundin, Michele Harris, die beiden dann gesehen.«
Anya fiel die nasse Kleidung ein. Es bestand die realistische Möglichkeit, dass der Körper im Wasser gelegen hatte. »Ist er an Ort und Stelle verhaftet worden?«
»Diese Memme? Nein. In seinem Zimmer haben wir ihn gefunden, im Schrank hat er sich versteckt. Immer noch mit Eileens Blut beschmiert.«
Ein paar Jungs kamen zu Charlie gelaufen und schauten in seinen Eimer.
»Hey, Mister, haben Sie was gefangen?«
»Zwei Brassen. Echte Schönheiten. Soll ich euch mein Geheimnis verraten?«
Plötzlich sah Charlie wirklich wie der Weihnachtsmann aus. Eifrig nickten die Jungens.
»Da«, sagte er und holte ein Glas aus seinem Korb.
»Den Trank misch ich aus Zucker, Wasser und Salz zusammen, dann gebe ich die Garnelen dazu, als Köder. Und dann kommt das Geheimnis.« Mit dem verschmierten Zeigefinger winkte er seine Zuhörerschaft näher zu sich heran. »Ich tu zwei Tropfen Anisöl
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