In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
»Spart euch die Mühe, euer vorbereitetes Sprüchlein aufzusagen. Ich übernehme das für euch.« Er zog einen Umschlag aus der Aktentasche und schob ihn über den Tisch.
»Mein Rücktritt. Und wenn irgendjemand versuchen sollte, meinen Ruf in den Schmutz zu ziehen, dann krieg ich euch wegen übler Nachrede und Beleidigung dran, bevor ihr überhaupt schauen könnt.«
Mit hoch erhobenem Kopf und gestrafften Schultern ging er zur Tür. Er ging in Würde, wenn ihm auch sonst nichts geblieben war.
Morgan Tully stand als Erste auf, sobald er draußen war. »Geht jemand mit zum Mittagessen? Bei mir steht um zwei das nächste Todesermittlungsverfahren an.« Sie tat, als wäre nichts geschehen.
Ohne ein Wort eilte Peter Latham durch die Tür.
Anya sammelte ihre Unterlagen zusammen und spürte einen Knoten in der Brust. Wie leicht es doch war, jemandes Arbeit im Nachhinein zu kritisieren. Sie fragte sich, ob man auch ihr eines Tages ärztliche Fahrlässigkeit vorwerfen würde. Zum ersten Mal empfand sie tiefes Mitleid für Alf Carney.
Und dass sie Recht hatte, tröstete sie nicht im Geringsten.
34
Anya war von den Ereignissen der vergangenen zwei Tage so erschöpft und frustriert, dass sie nicht die geringste Lust auf eine Auseinandersetzung im Polizeihauptquartier verspürte, doch Hayden Richards hatte auf einem Treffen bestanden. Zum Glück hatte Meira Sorrenti bereits Feierabend gemacht, und die übrigen Ermittler hatten etwas Besseres zu tun. Niemand schenkte ihr Beachtung, als Hayden sie durch die Sicherheitsschleuse geleitete.
Im Büro bot er ihr sofort einen Platz an seinem mit Dokumenten überhäuften Schreibtisch an. »Ich muss unbedingt über den Dorman-Mord mit dir reden. Willards Mutter behauptet, das T-Shirt mit der DNA sei überhaupt noch nie getragen worden. Sie hätte es gewaschen und gebügelt, aber er hätte es nie angehabt.«
»Und einer Mutter glaubst du natürlich?«
»Nein, pass auf. Ich hab heute Nachmittag beim Labor angerufen. Die T-Shirts wurden nach einem Luminol-Test vor Ort von der Spurensicherung konfisziert. Im Labor tauchten dann nicht auf einem, sondern auf zwei von seinen Hemden Spuren von Liz Dormans Blut auf.« Er reichte ihr den Faxausdruck des Berichts und ging Kaffee kochen.
Vielleicht hatte Geoffrey sich ja umgezogen und dabei etwas Blut von seiner Haut auf das zweite T-Shirt übertragen. Anya las sich die Anmerkungen auf dem Blatt zweimal durch. Diese Spuren waren winzige Spritzer, ganz anders, als man es bei einem derart blutüberströmten Tatort erwarten müsste.
Angesichts der Blutmenge in Dormans Haus hätte das T-Shirt blutdurchtränkt oder zumindest mit Spritzern übersät sein müssen. Die geringe Menge Blut auf Willards T-Shirt nach der Ermordung Eileen Randalls irritierte sie mehr als die Ungereimtheiten beim Stand der Gezeiten. Die Parallelen zwischen den Fällen wurden immer seltsamer.
Vielleicht hatte Willard einen Komplizen gehabt, wenn er Liz Dormans Mörder war. Als der Ermittler zurückkehrte, brachte sie die Möglichkeit eines Mittäters zur Sprache. »Gloria Havelock wurde von zwei Männern vergewaltigt.«
»Ja, von dem toten und von Kapitän Döskopp.«
Vor ihr stand eine Tasse mit alten Lippenstiftresten, daneben zwei trockene Kekse. Anya drehte die Tasse auf die andere Seite und hielt sie mit der linken Hand. Sie schmeckte Spülmittelreste am Tassenrand.
»Die Täter haben kleinformatige Fotos ihrer Töchter aus der Geldbörse gestohlen. Sind die jemals wieder aufgetaucht?«
»Nicht, dass ich wüsste. Gestern wurde die Zelle von Kapitän Döskopp durchsucht, aber außer Tenniszeitschriften ist nichts gefunden worden.« Er ahnte die nächste Frage und erläuterte: »Mädels, Miniröcke. Das war das Pornomäßigste, was Lee auftreiben konnte. Sorrenti hat ihn verhört, ist aber keinen Schritt weitergekommen. Der kleine Drecksack wollte nicht reden. Hat nur immer gesagt, für jedes Mal Tittenzeigen beantwortet er eine Frage.«
So sehr Sorrenti Anya auch auf die Nerven ging, das hatte sie nicht verdient.
»Und hat er seine Gonaden behalten?«
Hayden lachte. »Aber nur knapp. Sorrenti war wirklich auf hundertachtzig. Hat absolut nichts aus ihm rausgekriegt.«
»Willard saß hinter Gittern, als Gloria vergewaltigt wurde, aber hältst du es nicht auch für einen zu großen Zufall, dass ihre Tochter im elterlichen Haus überfallen wird, kaum dass er wieder draußen ist?«
Hayden zerbiss einen Keks, und die Brösel landeten in seinem Schnurrbart.
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