In deiner Hand
Aussteigen daran festhalten konnte. Zu meiner großen Verwunderung zog er mit solcher Kraft an mir, dass ich regelrecht aus dem Sitz flog. „Entschuldige!“, hüstelte er und ließ mich sofort los. „Manchmal kann ich meine Kräfte nicht kontrollieren!“
Ob er sich einen Scherz erlaubte? Oder, was viel näher lag, hatte Mum ihm etwa erzählt, dass ich ihn für zu schwach und zu langsam hielt? Was jedenfalls erklären würde, wieso er versucht unauffällig seine Oberarme aufpumpte. Ein Wunder, dass dabei das hellblaue Hemd nicht an der Naht entlang aufriss. Sein albernes Gehampel, um die Existenz irgendwelcher Muskeln unter all dem Fett zu beweisen, ließ er urplötzlich sein, als sein Blick auf unsere Haustür fiel. Mum stand dort, leichenblass, und in ihre Lieblingskuscheldecke gehüllt.
„Da seid ihr ja endlich!“, hauchte sie schwach. Für seinen Umfang war Charles erstaunlich schnell, denn er kam vor mir bei Mum an, um sie in die Arme zu nehmen und ins Haus zu führen. Doch sie sträubte sich und warf einen fragenden Blick über seine Schulter. Ich blieb auf halber Höhe zum Haus stehen. Mir fiel jetzt erst auf, dass ich die ganze Fahrt über keinen Kopfschmerz mehr verspürt hatte. Doch nun trat er umso stärker hervor und zwang mich fast in die Knie. Das grelle Tageslicht brannte wie Feuer in meinen Augen und es fiel mir schwer auch nur einen einzigen Schritt zu gehen. „Liebling?“, hörte ich Mum rufen, Panik schwang in ihrer Stimme mit. Ihre verschwommene Gestalt huschte über den Rasen auf mich zu, dann hob sie die Arme in den Himmel und schon im nächsten Augenblick hüllte mich wohltuende Dunkelheit ein. Mum stand direkt vor mir und hielt ihre Kuscheldecke schützend über uns beide.
„Das Licht ist unangenehm, nicht wahr?“, flüsterte sie zaghaft und seufzte. Als ich nur erschöpft nickte, verzog sie den Mund. „Lass uns rein gehen. Ich denke ich weiß, was dir gut tun wird!“ Ich lehnte mich schwerfällig gegen sie und wir eierten wie zwei Betrunkene ins Haus.
Charles stand etwas ratlos in der Tür. Er schien nicht zu wissen, ob er seiner blassen Verlobten oder ihrer auch nicht besonders fitten Tochter helfen sollte. Mum nahm ihm die Entscheidung ab.
„Bring sie bitte ins Wohnzimmer und schließ die Vorhänge für mich, Liebster!“
Ein bisschen blöd kam ich mir schon vor, wie er mich so an der Hand den Flur entlang führte. Sicher sah es auch komisch aus, wie meine schmale Hand fast gänzlich von seiner fleischigen verborgen wurde. Es war seltsam wie vorsichtig er mit mir umging. Er manövrierte mich ganz geschickt an allen im Weg stehenden Möbeln vorbei bis zur Couch. Ich hörte ihn durchs Wohnzimmer eilen und die Vorhänge zuziehen. Erst als er fertig war, zog er mir die Decke vom Kopf und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden. Mum kam kurz darauf mit einem in ein Frotteehandtuch gewickelten Kühlakku, einer großen Flasche Quellwasser und Tabletten aus der Küche herein. Ich nahm ihren noch warmen Platz auf der Couch ein, musste mich, nachdem ich zwei der kleinen Pillen geschluckt hatte, gerade ausstrecken und die Augen schließen. Und dann glitten ihre sanften, warmen Finger über meine Schläfen, rauf zur Stirn, hinter den Ohren in den Nacken und von dort aus über meine Schultern.
„Entspann dich, Schatz!“, wisperte sie. Das fiel mir wirklich nicht schwer. Ob von den Tabletten oder der himmlischen Berührung ihrer Fingerspitzen, jeder Muskel in meinem Körper wurde zu Pudding. Mein hämmerndes Gehirn beruhigte sich allmählich und ich spürte eine bleierne Schwere in meinem Inneren. Nicht lange und ich schlief tief und fest.
Mum entschied, mich für die nächsten Tage daheim zu behalten. Was mir natürlich sehr entgegen kam. Ich lag den ganzen Tag auf der Couch, sah Fernsehen und stopfte Schokopudding und Pancakes in mich rein wie ein Weltmeister. Ganz bewusst zog ich mir jeden noch so miesen Streifen im TV rein, konzentrierte mich höchstinteressiert auf die Werbung dazwischen und wenn das Programm, besonders abends, so grausig wurde, dass selbst ich es nicht mehr ertragen konnte, schob ich eine DVD in den Recorder. Sogar zum Hausputz ließ ich mich hinreißen, sobald Mum auf der Arbeit war. Hauptsache mein Kopf war so beschäftigt, dass ich nicht ins Grübeln kam.
Keinen müden Gedanken verschwendete ich an Malik, Erik oder Brian … besonders nicht an den. Es bedurfte keinen Besuch beim Arzt, um meine Migräne zu bestätigen und ich war Mum unendlich dankbar dafür. Sie
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