Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In deiner Hand

In deiner Hand

Titel: In deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Tintenfee Lewis
Vom Netzwerk:
erzählte, dass sie als junges Mädchen in stressigen Situationen oft an Migräne litt. Sogenannte Anfälle, mit Aura. Was total bescheuert klang aber nachdem sie mir erklärte, wie sie sich bei ihr äußerten, wurde mir klar, dass ich genau das Selbe erlebt hatte. Mum wusste, dass ich nicht gern zum Arzt ging, doch sie deutete auch an, sollte ich erneut einen dieser Anfälle erleiden, würde ich trotzdem nicht drum herum kommen. Für die richtige Medikation war nunmal ein Arzt zuständig  und sie wollte nicht, dass ich mir blindlinks ihre Tabletten in den Rachen warf. Leider konnte sie nicht abstreiten, dass ihre homöopathischen Sachen, die sie in dem kleinen Apothekenschränkchen aufbewahrte, bei Migräne absolut keine Wirkung zeigten, weshalb sie immer genötigt gewesen war, sich mit Chemie vollzustopfen.

Als sie am Morgen nach meiner Migräneattacke die Pflaster von meinem Gesicht löste, weil sie entschied, dass ich viel zu schwach dazu sei, fühlte sie sich in ihrer „Die Natur hält die besten Heilmittel für uns bereit“-Macke bestätigt und freute sich sehr, dass meine Kratzer so schnell verheilt waren. Ich wollte sie erst gar nicht an meine Wange lassen, aus bloßer Panik ihrer Reaktion gegenüber. Irgendwann gab ich einfach nach und wartete mit wildem Herzklopfen darauf, dass sie wieder irgendwelche gruseligen Vermutungen aufstellte. Ich rechnete sogar damit, dass sie mich eine Hexe schimpfen und geschockt vor mir zurückweichen würde. Dem war aber nicht so. Schon da hätte mir auffallen sollen, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Mum reinigte meine Haut vorsichtig und meinte dann ein Pflaster sei gar nicht mehr nötig, frische Luft würde den Rest dazu beitragen. Jeder andere hätte wenigstens eine kleine verblüffende Äußerung darüber gemacht, wie schnell die Wunden doch heilten. Aber von ihrer Seite kam nichts. Nicht, dass sie sich nicht kümmerte, sie war sogar sehr besorgt um mich und betüdelte mich in einer Tour, doch die nicht mehr vorhandenen Wunden in meinem Gesicht stellte sie gar nicht erst in Frage. Am Mittwochabend setzte sie sich sichtlich erschöpft von einem langen Tag in der Kanzlei neben mich auf die Couch und streichelte mir abwesend übers Haar. Den Blick auf den Fernseher geheftet, schien sie trotzdem nicht zu registrieren was dort gerade lief.
„Ist alles in Ordnung?“, wollte ich wissen und musterte sie von der Seite.
„Ich bin nur ein bisschen müde!“, meinte sie und lächelte leicht, dann stand sie auf und verschwand ins Badezimmer um sich frisch zu machen. Nach über einer halben Stunde war sie noch immer nicht zurück und ich entschied nachzusehen. Vielleicht nahm sie ja nur ein Bad. Ein leises Murmeln kam jedoch aus ihrem Schlaf- und nicht dem Badezimmer. Obwohl ich für gewöhnlich nicht daran interessiert war, eines ihrer Telefonate mitzubekommen, schlich ich auf Zehenspitzen zur Tür und linste durch den schmalen Spalt. Mum stand splitterfasernackt vor dem großen Spiegel und starrte sich an. Es waren keine zufriedenen Blicke, oder die einer Frau, die sich zu dick findet. Sie stand einfach nur da, völlig reglos und starrte sich an. Sie blinzelte nicht einmal, was mich mit einem flauen Gefühl erfüllte. Dann rührte sie sich doch. Ihre rechte Hand strich ganz langsam über ihren Unterbauch und sie verzog ihr schönes Gesicht zu einem hinreißenden Lächeln. „Wir schaffen das schon“, flüsterte sie und schloss die Augen.

Am kommenden Morgen durfte ich nicht liegen bleiben. Nicht dass Mum darauf erpicht gewesen wäre, mich in die Schule zu schicken. Nein. Sie hatte sich den Tag freigenommen und bat mich, erst einmal frische Brötchen zum Frühstück zu holen. Kein einziges Mal stellte ich mir die Frage, wieso Mum mich daheim duldete, wo ich doch eigentlich in der Schule sitzen und irgendetwas total Sinnvolles lernen sollte. Für gewöhnlich ließ sie mich nie krank machen und behielt mich nur in den nötigsten Fällen daheim. Wenn ich mir beispielsweise auf dem Weg zur Schule im Bus die Seele aus dem Leib kotzte, weil sie wieder irgendeinen abartigen biologischen Scheiß kochte. Mein Körper wusste eben was am besten für mich war! Derlei Dinge wie frische Algen gehörten eben nicht in meinen Organismus. Ich war doch kein Seeigel! Wie dem auch sei. Ich stellte nicht in Frage, dass sie mich zum nächstliegenden Bäcker schickte. Stattdessen schlüpfte ich in bequeme Jeans und verbot es mir, wieder blindlinks in den Schrank zu greifen. Ich suchte nach dem

Weitere Kostenlose Bücher