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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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den felsigen Hang herab. Mary hielt sich dicht hinter mir. Ihre Haare und ihr Kleid wehten in der kalten Luft. Wir versuchten gar nicht erst, unser Kommen zu verbergen.
    Grant sah mich zuerst. Er saß im Gras, den Rücken an einen großen Felsbrocken gelehnt. Er hatte die Beine ausgestreckt und die Arme über seiner Brust verschränkt. Er wirkte müde und schien zu frieren. Doch als er mich sah, machte die Wärme seines Lächelns einen so intimen und so zärtlichen Eindruck, dass ich mich schon fragte, wie ich jemals hatte glauben können, dass ich mein Leben besser alleine verbringen sollte.
    Neben Grant saß Jack. Aus der Ferne wirkte er wie eine Vogelscheuche
und keineswegs wie der große, starke Mann, den ich kannte. Aus der Nähe verbesserte sich der Eindruck ein wenig. Er wirkte zerknittert und erschöpft, für meinen Geschmack viel zu zerbrechlich. Sein Haar war vollkommen verfilzt, die Wangen eingefallen und knochig. Aber als er mich sah, wurde der Zug um seinen Mund weicher, die Augen leuchteten wie in einem Lächeln, und er winkte mir kurz zu.
    Unmittelbar vor ihnen blieb ich stehen. Ich fiel nicht auf die Knie, weinte nicht und umarmte sie auch nicht. Ich starrte nur in die Gesichter dieser beiden Männer, die ich liebte - und zwang mich zu atmen.
    »Das wurde auch Zeit«, bemerkte Grant mit zärtlicher Ironie. »Hast du vielleicht einen Abstecher nach Disneyland gemacht?«
    »Daran gedacht hatte ich schon«, gab ich zurück. »Du bist ein sehr fordernder Mann.«
    Er streckte die Hand aus, ich packte sie und zog ihn auf die Füße. Als er stand, beugte er sich zu mir herab und flüsterte: »Meine Forderungen sind immer männlich.«
    Ich unterdrückte ein zittriges Lächeln, hakte meine Daumen in den Hosenbund seiner Jeans und stellte mich auf die Zehenspitzen, um mit den Lippen über seine Wangen zu streichen. Ich war zu erleichtert, ihn in Sicherheit zu sehen, als dass ich jetzt noch mehr hätte tun können. Was ich ihm zu sagen hatte, brauchte Zeit und Stille. Und Einsamkeit.
    Mary drückte sich in der Nähe herum. Eine geisterhafte Gestalt mit Sternen in den Augen. Grant streckte die Hand nach ihr aus, und sie tanzte auf leichten Füßen in seine Umarmung hinein, lehnte sich an ihn - und keineswegs nur aus Erschöpfung.
    Zee und die anderen patrouillierten am Rand der Lichtung.
Rohw war, wie ich hoffte, immer noch bei Byron. Ich hockte neben Jack, der sich weiter ausruhte und sich nicht bewegt hatte. Seine Reglosigkeit beunruhigte mich, bis er ein Bein anwinkelte und den Arm auf sein Knie stützte. Das war eine unbedachte Bewegung, doch sie wirkte gar nicht ungelenk. Zee sprang heran, verschwand wieder und tauchte Sekunden später mit einer Fleecedecke in den Klauen auf. Er reichte sie mir.
    »Cribari«, sagte ich, während ich Jack die Decke über die Schultern legte.
    Er presste die Kiefer zusammen. Seine Hände wirkten in der Dunkelheit, als er die Decke fester um sich zog, sehr blass. »Unten am Hang.«
    Ich zögerte, sah ihm forschend in die Augen. Dann nahm ich langsam die Hand des alten Mannes und schob seinen Ärmel zurück. Die Linien aus Knochen leuchteten im Sternenlicht und lösten eine archaische, primitive Emotion in mir aus: Furcht, Mysterium und … doch auch Möglichkeiten. Ich strich mit den Fingern über die leichten Erhebungen, die weniger wie eine Tätowierung aussahen, sondern eher wie natürlich gewachsen wirkten, wie die Stoßzähne eines Elefanten. Nur waren sie in seine Haut eingebettet.
    Ich schob den Ärmel noch höher und fand andere Male, mit normaler Tinte geschrieben: Kurze Worte, die in einer unbekannten Sprache auf seinem Oberarm standen.
    Jack zog den Arm zurück.
    »Erklär mir das«, sagte ich.
    »Es erinnert mich an etwas, das wichtig ist«, erwiderte er mürrisch. »Ich lebe bereits seit vielen Jahren, und selbst mein Geist kann die wesentlichen Wahrheiten vergessen.«
    Ich berührte mein Gesicht und fuhr über die Linie, die sich unter meinem Ohr in die Haut gebrannt hatte: Es war ein Geschenk
des Dämons Oturu, der mich gezeichnet hatte … so wie er auch eine andere gezeichnet hatte, vor fünftausend Jahren. Zwei Frauen, zwei Jägerinnen. Miteinander verbunden. Die im Geist etwas miteinander teilten, das ich nicht verstand, das andere jedoch erkannten: Oturu, Jack, Sucher. Ein Dämon, ein Avatar und ein Mann, der meine Ahnfrau bereits gekannt hatte, als sie lebte.
    »Nur eine einzige Jägerin hat jemals dieses Mal getragen«, sagte ich zu Jack. »Und die

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