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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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»Stell dir das vor.«
    »Falls Jack recht hat …«
    Er warf mir einen scharfen Blick zu und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Nicht, tu das nicht.«
    Dennoch hätte ich fast weitergesprochen. Ich fand die Möglichkeiten ungeheuerlich. Falls Jack die Wahrheit über den Ursprung der Menschheit gesagt hatte, dann stammten wir alle möglicherweise von einer einzigen Rasse ab, einer Rasse, deren einzige Überlebende Grant und vielleicht auch Mary waren. Welten, auf denen Samen gesät wurden, Welten, denen man Zeit ließ zu gedeihen. Äonen, die in wenigen Augenblicken verstrichen. Grant, der durch die Zeit geschleudert wurde.
    Bis hierher, bis ins Jetzt. Ich fand, dass es einen Grund dafür geben sollte, für das alles, dass es einen Grund sogar für ihn und mich geben sollte. Denn wir waren unmöglich. Was jeder von uns für sich selbst bedeutete, war unmöglich. So etwas wie wir,
das hätte gar nicht existieren sollen. Ebenso wenig wie es Dämonen oder Avatare hätte geben sollen - oder Welten, die jenseits eines verborgenen Labyrinths lagen.
    Ich glaubte nicht an Zufälle. Aber in diesem Fall erforderte dieser Unglaube den Glauben an etwas anderes. Und dafür war ich nicht bereit.
    Ebenso wenig, wie ich bereit war, über all diese Dinge mit Grant zu sprechen. Denn wenn sie wahr sein sollten, falls sie wahr gewesen sein sollten, konnte man letztlich nur eine Diskussion über Völkermord und Sklaverei führen. Ebenso war die Familie, an die Grant geglaubt hatte, mehr oder weniger nur eine Lüge.
    Ich betrachtete den Hang vor uns. Er bestand lediglich aus großen Felsbrocken und Felsüberhängen, die scharf und spitz aus der Bergflanke herausragten. Wenn wir noch weitergingen, würde der Weg für Grant sehr gefährlich werden. »Was war geschehen, nachdem Cribari dich entführt hatte?«
    »Das ist kompliziert«, erwiderte er nach einer langen Pause. »Du musst es dir selbst ansehen.«
    »Grant!«
    Er blieb stehen und seufzte müde. »Warte einfach noch ein bisschen.«
    Ich runzelte die Stirn und musterte die Schatten um uns herum. Ich sah nichts, keine Spur von einem Mann. Grant humpelte weiter den Hügel hinunter, bog dann scharf nach rechts ab, auf einige Felsbrocken zu. Dek und Mal hörten auf zu schnurren, und von Zee und Aaz war plötzlich nichts mehr zu sehen.
    Grant nahm meine Hand, kurz bevor wir um eine Mulde in dem runden Felsbrocken gingen. Ich wusste nicht, ob er sich selbst oder mich trösten wollte, aber mein Unbehagen nahm
noch zu, und als ich schließlich die andere Seite sehen konnte, war ich auf alles gefasst.
    Nur war da nichts. Kein Cribari, nicht mal ein Fettfleck von ihm. Bloß die Jungs, einschließlich Rohw, die vor einem zerklüfteten Felsen hockten, der etwa halb so groß war wie ich und eine merkwürdige Form hatte. Er sah wie ein zerquetschter Kürbis aus.
    »Wie bitte?«, fragte ich. Zee sah zu mir hoch und wechselte dann einen vielsagenden Blick mit den anderen. Rohw und Aaz zuckten mit den Schultern.
    Die Jungs traten zur Seite, weg von dem Felsbrocken.
    Der mich nach kurzer Zeit heftig anblinzelte.
    Ich blinzelte nicht zurück, sondern stand wie erstarrt da. Ich blickte auf zwei menschliche Augen, die im Stein gefangen waren.
    Grant sagte etwas, aber ich verstand ihn nicht. Ich trat einen Schritt nach vorn, dann noch einen, dann hockte ich mich vor den Felsen und blickte in die Reste von Antony Cribaris Gesicht.
    Ich konnte noch mehr erkennen als nur seine Augen. Etwas von seiner Haut war ebenfalls sichtbar, ein Teil seiner Wange, die Stirn und die halbe Nase. Nur ein Nasenflügel, der sich heftig blähte. Sein Mund war von Stein bedeckt, aber ein Teil seines Ohrs war sichtbar, also konnte er vielleicht sogar hören. Ich suchte nach dem Rest seines Körpers, fand jedoch nichts. Der Priester war viel zu groß, als dass er ganz in diesen Felsbrocken gepasst hätte. Deshalb vermutete ich, dass ein Teil von ihm unter der Erde stecken mochte.
    Doch seine Augen, seine Augen verrieten alles. Er hatte geweint. Der Stein unter seinen Augen war feucht, wie auch die Stelle unter seinem Nasenflügel. Vermutlich hatte er Schwierigkeiten,
Luft zu bekommen. Ich jedenfalls konnte kaum atmen. Ich setzte mich zurück, dabei hämmerte mein Herz so hart, dass mir übel wurde.
    »Maxine«, brummte Grant.
    Ich wollte ihn wegwinken, griff dann jedoch nach seiner Hand und drückte sie. Mir wurde schlecht. Antony Cribari in diesem Stein zu sehen, das war eines der schrecklichsten Dinge, die ich

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