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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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auf meinen beiden Füßen stand und leicht schwankte. Mir schwindelte. Erinnerungen an meine Großmutter schossen mir durch den Kopf. Es kam mir vor, als hätte sie zu viel über Zeitreisen und diese Rüstung gewusst, die ich trug. Offenbar konnte man auf diesen Zeitreisen auch einige Tage Pause machen, um wieder gesund zu werden, bevor man in die Zukunft und die Zeit geschossen wurde, in die man gelangen wollte.
    Bist du jetzt zur Expertin geworden?, fragte ich mich. Reiß dich zusammen!
    Ganz langsam drehte ich mich einmal um mich selbst. Es war vollkommen ruhig in diesem Raum, aber die Männer und Frauen, die über mir hingen, lebten. Ich sah winzige Atemwolken aus ihren Nasenlöchern und ihren offenen Mündern dringen.
Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichter erschlafft. Die massiven Haken, an denen sie hingen, verschwanden in ihrer Kleidung. Ich hoffte, dass sie nicht wie Forellen darauf aufgespießt waren.
    Zee und die Jungs lagen warm auf meiner Haut. Selbst mein Gesicht wurde von ihren Tätowierungen geschützt. Dek und Mal rollten sich symmetrisch über meine Wangen. Ich fühlte, wie sie träumten, während ich schmerzverzerrt durch den Raum humpelte und nach einer Tür suchte.
    Aaz zerrte scharf an meiner Hand. Ich folgte seiner Führung, doch er brachte mich nicht zu einem Ausgang. Stattdessen trat ich vor eine Eisnische und blickte durch die kalte Wand auf einen schlanken, nackten Körper und ein blasses Gesicht, das von dunklem Haar eingerahmt war.
    Killy.
    Ich hatte bereits meine Fingernägel in das Eis gegraben, bevor ich innehielt und nachdachte. Ich musste einfach nachdenken. Wenn ich Killy befreite und sie am Leben war, war es dann klug, sie mitzunehmen? Ich war kaum in der Lage, mich um mich selbst zu kümmern, geschweige denn noch jemand anderen zu beschützen.
    Andererseits, wenn ich sie zurückließ und etwas geschah … falls ich zum Beispiel den Weg zu diesem Raum später nicht mehr fände …
    Du bist verdammt, wenn du es tust, dachte ich, und ebenso, wenn du es nicht tust.
    Ich grub meine kalten, schwarzen Nägel in das Eis, grub mich in die Wand und biss auf die Zähne, als der Schmerz in meiner Brust brannte. Augenblicke später begannen Aaz und Rohw, meine Handflächen aufzuhalten - und dann legte ich sie flach auf die kalte Oberfläche. Dampfwolken stiegen in die
Luft auf, und Wasser rann an der Wand herunter. Ich verstärkte den Druck noch, änderte den Winkel, strich mit meinen Händen über das Eis und sank langsam und leicht tiefer ein, bis ich plötzlich bis zu Killy durchbrach.
    Das Erste, was ich bemerkte, war, dass ihr Gesicht Farbe hatte. Sie war zwar blass, aber ihre Wangen waren ganz leicht gerötet und ihre Lippen rosa. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie blau wären - das war doch die Farbe von extremer Kälte und Tod. Aber sie atmete und hatte einen Puls. Doch sie reagierte nicht, als ich durch das Loch im Eis griff und sie berührte.
    Ich riss die restlichen Eisbrocken weg und machte nur einmal Pause, um mich kurz zu erholen. Dann zog ich Killy heraus. Ich hatte kaum genug Kraft, sie auf den Boden herunterzulassen, was dazu führte, dass ich sie ungeschickt fallen ließ. Ich konzentrierte mich nur darauf, ihren Kopf zu schützen. Dann richtete ich mich auf und betrachtete ihren Körper, während ich überlegte, wie ich ihr Kleider beschaffen könnte. Schließlich zog ich meine eigenen aus. Ich spürte die Kälte gar nicht. Am Ende stand ich bis auf den Messergürtel, der sich um meine Rippen schlang, nackt da.
    Erst als ich anfing, Killy anzukleiden, fiel mir auf, dass die Kleidung, die ich selbst getragen hatte, gar nicht meine eigene gewesen war: eine weiße Hose, ein weißes Hemd und ein Wollpullover. Stiefel hatte ich keine angehabt, sondern nur dicke Socken. Es war die Kleidung meiner Großmutter oder sogar die meiner Mutter. Ich hielt das Hemd an meine Nase und sog tief den Duft ein. Es roch warm, aber unbestimmt, wie Gewürze und Sonnenlicht, ein Geruch, der mir durch Mark und Bein ging. Meine Mutter. Meine Mutter hatte diese Kleider getragen.
    Ich war doch egoistisch, denn eine Sekunde lang bereute ich,
dass ich Killy damit ankleidete, weil ich damit diesen kostbaren Geruch an eine andere Person verlor. Aber ich schob diese Gefühle beiseite und konzentrierte mich darauf, die Frau zu wärmen. Sie rührte sich nicht ein einziges Mal. Ich tastete wieder nach ihrem Puls. Ihr Herz schlug kräftig und ruhig, vielleicht sogar kräftiger als meins.
    Nachdem ich

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