In Den Armen Der Finsternis
berührten. »Also tu so, Jägerin. Tu so, als sei dies ein Traum, und versuch, nicht so leicht zwischen die Schatten des Labyrinthes zu fallen. Tu so, als wärst du nicht mehr als das, was du zu sein scheinst.«
Ich glaubte zu lächeln, aber der Traum verblasste, und alles um mich herum fühlte sich zart und weich an. »Ich kenne dich. Du bist einmal ein Mensch gewesen.«
»Ich war niemals ein Mensch«, erwiderte die Frau ruhig. »Ebenso wenig wie du.«
Das Horn entglitt mir, gedankenschnell, und stieß mich in
die Brust. Der Schmerz explodierte, fühlte sich aber weich und dick an, blühte auf wie die Zeitrafferaufnahme einer tiefroten Rose. Die Blüten, die herabfielen, das war Blut - Blut, das süß auf meiner Zunge schmeckte.
Bis es plötzlich gar nicht mehr so süß war. Der Traum zerbrach.
Ich keuchte erstickt und fuhr hoch. Ich sah einen Raum, in dem sich Schatten bewegten und Kerzenflammen flackerten. Dann betäubte mich der Schmerz und ich konnte nicht mehr atmen. Kleine, scharfe Hände drückten mich herunter, dann größere Hände, die Hände von Menschen. Sie lagen warm auf meinem Körper. Mein Hemd war zerschnitten. Ich fühlte mich durchtränkt, überall. Ich versuchte die Augen zu öffnen, aber meine Lider waren zu schwer. Nicht einmal mit all meiner Willenskraft konnte ich etwas sehen.
»Keine Kugel«, schnarrte Zee dicht neben mir. »Sie wurde bereits entfernt.«
»Sind denn Knochen gebrochen?«, fragte eine Frau. Ihre Stimme klang leise und angespannt. »Auf den ersten Blick kann ich das nicht erkennen.«
»Sind geheilt. Gerichtet und fixiert.«
»Und der Rest von ihr? Nicht? Diese verdammte, närrische Hexe.« Ein weiches Tuch wurde auf meine Brust gepresst, unmittelbar über meinem rechten Busen. »Was hat sie sich dabei gedacht?«
»Zu viel Blut«, murmelte Zee. »Konnte nicht zulassen, dass ihr Blut gewittert wird. Nicht im Labyrinth.«
Die Frau murmelte leise etwas, aber ihre Hände wirkten kräftig und geschickt, und selbst als sie eine brennende Flüssigkeit über meine Wunde goss und ich aufschrie, hatte ich noch keine Angst vor ihr.
Ich hörte, wie eine Tür zuschlug. Dann folgte eine andere leise Stimme, eine junge, weiche Stimme. Ein kühles Tuch legte sich auf meine Stirn, und Wasser tröpfelte in meinen Mund. Dek und Mal schwiegen. Nach einer Weile konnte ich nur noch angestrengtes Atmen und den donnernden Schlag meines Herzens hören.
Kurz darauf nicht einmal mehr das.
Ich träumte nicht. Ich glitt in die Dunkelheit und blieb dort. Erst als die Zeit kam, öffnete ich die Augen und war wach.
Ich hatte Schmerzen, das war das Erste, was ich bemerkte. Ich konnte nicht einmal Luft holen, ohne dass es weh tat, also atmete ich so vorsichtig, als wäre mein Atem ein Stein, den man über das Wasser tippen ließ: leicht, schnell und behutsam.
Ich lag in einem Bett. Die Decke reichte bis zu meiner Taille, und warme, harte Steine lagen um meine Ellbogen, meinen Rücken und meinen Hals herum. Die Jungs lagen schwer auf meiner Haut, aber die Hitze der Steine drang durch ihre tätowierten Körper, wofür ich auch sehr dankbar war.
Das fühlte sich gut an.
Das Schlafzimmer war schlicht eingerichtet und hatte keine Fenster. Zigarettenrauch hing in der Luft. Rechts neben mir knarrte Holz. »Mit dir ist es nie einfach, stimmt’s?«, sagte eine Frau.
Es gelang mir, den Kopf zu drehen, nur ein winziges Stück. Mein Blick fiel auf lange Beine in einer braunen Hose, deren Enden in hohen Schaftstiefeln steckten. Die weiße Bluse der Frau strahlte, halb verborgen unter einem langen Schal und dunklen Zöpfen. Rauch waberte um eine tätowierte Hand. Ich sah hoch in ein Gesicht wie das meine, nur etwas älter - und gezeichnet von Wind und Sonne.
»Maxine, schon wieder«, flüsterte meine Großmutter.
Ich starrte sie an, und sie drückte die Zigarette auf einem Porzellanteller aus, auf dem ein braun angelaufenes Apfelgehäuse und Brot lagen sowie noch weitere zerdrückte Kippen. Sie quollen bis auf den Tisch herunter. Die Frau räusperte sich, hob dann eine Teetasse hoch und hielt sie mir an die Lippen. Ich brauchte ihre Hilfe, um trinken zu können. Wasser lief mir übers Kinn, aber ich achtete gar nicht darauf. Ich starrte in die Augen meiner Großmutter.
»Streng dich nicht so an«, sagte sie nach einer Minute. »Schließlich werde ich nicht weggehen.«
Ich wandte den Blick keineswegs ab. » Wann ist es - jetzt?«
»Neunzehnhundertvierundsiebzig. Es ist gerade zwei Jahre her,
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