In Den Armen Der Finsternis
Also hielt ich mich vom Haupteingang fern und folgte der Mauer nach links. An die Kathedrale grenzte ein angelegter Garten an, der wie ein kleiner Park wirkte. Außerdem war sie
von Wohnhäusern und einer Seitenstraße umgeben, in der es angenehm dunkel war. Zee und Rohw kletterten auf die Ziegelmauer. Ich sah zu ihnen hoch, und sie streckten mir ihre winzigen Hände hinunter. Aaz hob mich an - und nach kurzer Zeit hatte ich die Mauer überwunden.
In dem Häuschen saßen zwei Männer. Sie lehnten gemütlich in ihren Stühlen und hatten die Köpfe auf die Seite gelegt. Ich wusste nicht, ob sie redeten oder schliefen, auf jeden Fall aber hatten sie die Doppeltüren der Kathedrale nicht im Auge.
Ich konnte ganz leicht und lautlos hineingehen und stand nach wenigen Augenblicken in einer Nische an der Seite des gewaltigen Mittelschiffs. Es war dort ziemlich dunkel und roch nach Stein und kalter Erde. Links von mir befand sich ein zierlicher, hölzerner Altar, vor mir stand ein schlanker Pfeiler mit einer niedrigen, gedrechselten Balustrade. Hinter der Abtrennung, also auf der anderen Seite des Ganges, rahmte ein massiver, zylinderförmiger Pfeiler meinen Blick auf lange Bänke und schattige Bogengänge ein. Ich hörte hallende Stimmen. Eine davon gehörte Cribari.
Die andere Grant.
Vor Erleichterung bekam ich weiche Knie. Ich hatte meine Ängste tief vergraben, nun jedoch brachen sie mit einem einzigen gewaltigen Ausstoß nach oben. Ich hatte versucht, nicht zu sehr daran zu denken, an Cribari, der meinen Tod befohlen hatte, an Cribari, der Grants Reise eingefädelt, uns getrennt und ihn in eine Falle gelockt hatte. Aus welchem Grund, das wusste ich nicht genau, aber mir war klar, dass nichts Gutes dahinterstecken konnte. Nicht, wenn ein Avatar seine Finger im Spiel hatte.
Eine Erinnerung stieg in mir hoch: an Ahsen, kurz vor ihrem Tod. Als sie Grant sah, seine Musik hörte und unter der Berührung seiner Macht litt.
Sie war entsetzt gewesen: zu Tode erschrocken.
Und sie hatte ihn als Erste bei diesem Namen genannt: Lichtbringer.
So sind die Verbindungen, dachte ich: Cribari, Grant, ich und dazu noch ein Avatar. Wir alle waren Teile eines Puzzles.
Die Jungs tauchten aus dem Schatten auf; sie kamen wie kleine Wolfsjunge von allen Seiten und hinterließen tiefe Kratzer in dem alten Mosaikboden. Dek und Mal hielten sich mit ihren winzigen Klauen an meinen Ohren fest und schoben ihre Köpfe aus meinem Haar. Ich kraulte ihre Hälse. Rohw und Aaz verschwanden wieder, aber ich sah ihre roten Augen im Schatten auf der anderen Seite des Raumes funkeln. Sie waren meine kleinen Kundschafter. Grants Stimme zeitigte ein schwaches Echo und ich schob meinen Kopf vorsichtig um den Pfeiler.
Zee zog mich zurück. Als ich mich neben ihm hinkniete, drückte er seinen kleinen, scharfzahnigen Mund gegen mein Ohr.
»Maxine«, schnarrte er leise. »Wir müssen den scharfen Mann erledigen.«
»Cribari? Weil er versucht hat, mich umbringen zu lassen?«
Dek knurrte.
»Deshalb«, flüsterte Zee, »und außerdem noch älterer Gründe wegen. Wesentlich älterer. Er dient der Alten Dunklen Hand als Augen, und die Schuld muss beglichen werden. Blut für Blut, das haben wir auf dem Grab unserer Alten Mutter geschworen.«
Die Alte Mutter war Zees Name für die Jägerinnen, die vor mir existiert hatten. Blut für Blut - das war ein Ruf nach Vergeltung, und dass er von einer Schuld sprach, bedeutete, dass es in diesem Punkt keinerlei Diskussion geben würde. Ich würde die Jungs nicht daran hindern können, sich zu holen, was ihnen zustand.
»Woher kennst du ihn?«, flüsterte ich dem kleinen Dämon zu. »Hat er versucht, meine Mutter zu verletzen?«
Er schüttelte den Kopf und presste die Spitzen seiner Klauen in den Steinboden. »Nicht er, aber einer wie er. Dasselbe Herz. Er wird die Schuld begleichen. Er wird bluten.«
Mir blieb nicht die Zeit, eine bessere Erklärung aus ihm herauszukitzeln. Also legte ich meine Hand sanft auf seine warme Schulter. »Erst das Geschäft, dann könnt ihr tun, was ihr tun müsst. Aber erst, nachdem Grant in Sicherheit gebracht worden ist.«
»Der große Mann zuerst«, stimmte er mir zu und betrachtete dann mein Gesicht mit einem Ernst und einer Besorgnis, die mir durch und durch ging. »Wandle leicht in den Schatten, süße Maxine. Wandle wie mit Flügeln.«
So etwas hatte er noch nie zuvor zu mir gesagt, aber er legte seine kleine, scharfkantige Hand über sein Herz, als er diese Worte aussprach,
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