In Den Armen Der Finsternis
Mutter , dachte ich - und hätte die Worte gern noch einmal aus seinem Mund gehört, so als hätte das etwas in mir auslösen können. Außerdem wünschte ich mir, Jack wäre hier.
Grant erreichte uns. Sein schlimmes Bein zwang ihn, langsamer zu gehen, und er atmete auch etwas schwerer als gewöhnlich. Er trug immer noch dieselbe Kleidung, in der ich ihn zuletzt gesehen hatte, wirkte zerknittert und war unrasiert. Seine Augen jedoch waren hell und klar. Sein Flötenetui hing an dem Riemen über seiner Brust. Er hatte die goldene Muramatsu mitgenommen, wie ich nach einem Blick über seine Schulter bemerkte. Sie steckte wie ein Schwert oder ein einzelner goldener Pfeil in ihrem Köcher, als warte sie auf etwas. Die Erleichterung, die ich empfand, ließ mich fast schwindeln. Als stünde ich mitten im Sturm eines kleinen Wunders.
»Darling«, begrüßte er mich. »Was um alles in der Welt tust du hier?«
»Ich bin ein wenig spazieren gegangen«, antwortete ich, während ich das glühend heiße Leuchten in seinen Augen genoss,
»und dann in China gelandet. Wirklich - ein bemerkenswerter Zufall.«
Vater Cribari sah aus, als wäre ihm schlecht. Ich hörte ein Schlurfen, ein leises Husten, und dann tauchte der dritte Mann, der neben den beiden an der Kanzel gestanden hatte, hinter Grant auf. Er war ebenfalls ein Priester, der eine schwarze Hose und ein einfaches Hemd trug. Als Erstes fielen mir seine Hände auf, da er sie fest über seinem weißen Bauch verkrampfte. Er hatte Pausbacken, dunkelbraune Haut und schwarze, kurz geschorene Locken. Mit seinen großen, wässrigen Augen starrte er mich an.
Er erkannte mich, davon war ich überzeugt. Denn im nächsten Moment blickte er zu Boden und zur Seite, musterte daraufhin Grant, dann Cribari, betrachtete alles Mögliche, nur nicht mich.
»Sie darf nicht hier sein«, stieß er drängend hervor. »Unser Verbindungsmann bei der Regierung hat sie nicht akzeptiert. Wenn er zurückkommt …«
»Der Zutritt zur Kathedrale wird von der chinesischen Regierung geregelt«, unterbrach ihn Grant brummend. »Wir mussten für heute Nacht eine Sondergenehmigung einholen. Unser Anstandswauwau ist rausgegangen und wartet da.«
Vater Cribari wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Seine Finger zitterten leicht. »Sie müssen über den Zaun geklettert sein, wenn er Sie nicht bemerkt hat. Oder aber Sie haben ein anderes, wahrscheinlich ein unnatürliches Mittel gefunden, um sich Zutritt zu verschaffen.«
Der andere Priester warf ihm zwar einen strengen Blick zu, Cribari schien es aber nicht zu bemerken. Vielleicht kümmerte es ihn auch nicht. Er versuchte ganz offensichtlich, sich hier anders zu verhalten, gab sich nach außen zuversichtlich und
benahm sich weniger widerlich. Wie eine Katze, die eine Tatze im Rahm hatte und in der anderen den noch warmen Leichnam einer Maus.
Trotzdem hatte Grant recht gehabt. Ich machte ihn nervös, flößte ihm Angst ein. Vor allem jetzt.
Spiel ihm etwas vor, sagte ich mir. Tu so, als wüsstest du gar nicht, dass er etwas mit diesem Anschlag auf dich zu tun hatte.
Grant trat zu mir her und nahm meine Hand. Seine Finger waren kräftig und warm. »Komm mit. Ich möchte dir etwas zeigen.«
Der andere Priester zuckte zusammen. »Nein!«
Vater Cribari legte eine Hand auf seine Schulter. »Es ist genehmigt, Bruder Lawrence.«
Die Worte klangen, als wäre seine Zunge mit Stahl überzogen. Vater Lawrence warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte jedoch nichts. Er gurgelte nur, als mich Grant durch den Gang führte, aber nicht zur Kanzel. Stattdessen ging er zum hinteren Ende der Kathedrale mit mir - zu dem großen Holzportal. Sein Gehstock und meine Cowboystiefel pochten einen schnellen, leichten Rhythmus auf den Steinboden.
Sobald Grant den beiden Priestern den Rücken zugekehrt hatte, veränderte sich seine Miene; die ruhige Gelassenheit verwandelte sich in eine eiskalte Maske.
»Die Morde sind nicht hier passiert«, flüsterte er mir zu, »und sie wollen mich nicht zu Vater Ross lassen. Sie haben auf diesem Treffen bestanden, einem mitternächtlichen Treffen, und sprechen ausschließlich über gotische Architektur.«
»Sie spielen mit dir«, antwortete ich leise. »Und du spielst mit. Warum?«
»Instinkt«, antwortete er. »Außerdem verbergen sie beide etwas … Großes. Es könnte dasselbe sein oder etwas anderes.
Ich sehe, dass Vater Lawrence ein guter Mensch ist, aber ebenso klar ist doch auch, dass er weiß, was Antony tut. Ich verstehe
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