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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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und ich bückte mich, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben.
    »Mein kleiner Junge«, flüsterte ich. »Mein bester Freund.«
    »Bis zum Ende«, erwiderte er leise und verschmolz mit den Schatten.
    Ich hörte immer noch Stimmen und spähte erneut um den Rand des Pfeilers. Einen Augenblick lang ließ ich mich von der Architektur ablenken. Deckengewölbe mit gemeißelten Verstrebungen erstreckten sich wie die gefrorenen Knochen von Fledermäusen vor mir. Die Säulen schienen sich wie zusammengebundene, silberne Bäume aus Stein zu erheben. Ich stellte mir Herzschläge in den Wänden vor, als würden die Geister der Betenden noch immer hier verweilen. Und obwohl sich die Luft so anfühlte, als würde sie unter den Schatten erstickt werden, stellte ich mir eine Stärke vor, eine Ruhe, Festigkeit und Dauer.

    So solltest du sein, sagte ich mir. Werde dazu!
    Stattdessen fühlte ich mich, als wäre mein Innerstes ein Schmetterling, der von einer fleischfressenden Pflanze zur nächsten flatterte. Ohne Richtung und ohne Ahnung: einfach nur der Gefahr in den Schlund springen, weil Schmetterlinge so etwas eben taten.
    Aber so dumm wollte ich nicht sein. Niemand auf dieser Welt hätte mich verleiten können, so dumm zu sein.
    Das Ende der Kathedrale schien sehr weit entfernt zu sein, aber ich sah drei Männer unter ein paar spärlichen Lampen stehen. Einer von ihnen stützte sich auf einen Gehstock. Während ich noch überlegte, ob ich vortreten und meine Anwesenheit überhaupt verraten sollte, hörte ich, wie Cribari eine scharfe Bemerkung machte. Da traf ich meinen Entschluss. Ich trat aus den Schatten und ging durch den Seitengang der Kathedrale nach vorn. Die Absätze meiner Cowboystiefel knallten wie winzige Pistolenschüsse auf dem Stein. Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden und drehte meinen Kopf gerade weit genug, um eine Bewegung auf der Empore weit hinter und über mir wahrnehmen zu können, ganz im hinteren Teil der Kirche.
    Die Männer vor mir drehten sich um. Ich war noch zu weit entfernt, und es war auch zu dunkel, als dass sie mich hätten erkennen können. Aber ich nahm wahr, wie Grant lächelte. Er hatte mir einmal gesagt, dass der Klang meiner Schritte so aussah, als würde schwarzes Lakritz Quecksilberfunken sprühen. Daran dachte ich nun beim Gehen und versuchte beschwingt auszuschreiten, während sich Dek und Mal langsam zurückzogen. Sie lagen noch über meinen Schultern, doch mit jedem Schritt wurde ihr Gewicht geringer, da sie den Schatten nutzten, um in meinem Haar zu verschwinden und ihre Körper
zu verstecken. Es war ein Trick mit der Interdimensionalität: Darin konnten sie wie in einem bodenlosen Beutel ruhen und kamen nur dann zum Vorschein, wenn sie gebraucht wurden. Ihre kleinen, rauen Zungen raspelten zart über meine Ohren.
    Für diese sanfte Berührung war ich dankbar. Denn Vater Cribari sah so aus, als hätte er am liebsten ein paar Katzenjunge verspeist, als er mich schließlich erkannte. Scharfer Mann , echote Zees Stimme durch meinen Kopf, und der kleine Dämon hatte recht. Der Priester erinnerte mich plötzlich an einen brandneuen Nagel: funktionell und fähig, Schaden anzurichten, aber zu nichts gut, wenn ihn niemand benutzte.
    Ich fragte mich, wann ich wohl denjenigen kennenlernen würde, der den Hammer hielt.
    Als Vater Cribari mein Gesicht erkannte, marschierte er durch den Gang auf mich zu. Als er mir näher kam, rannte er fast.
    Überraschung, dachte ich. Du Hundesohn.
    Auf seiner Stirn glitzerte Schweiß, seine Wangen waren rot angelaufen. Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß, sein Blick schmerzte auf meiner Haut. Die Woge von Abscheu, die mich in diesem Augenblick überrollte, fühlte sich wie ein Fieberanfall an.
    »Wie unerwartet«, murmelte er. Verwirrung und Unbehagen flackerten in seinen Augen kurz auf, bevor seine eisige Maske diese Emotionen wieder verschlucken konnte. Im selben Moment wurde mir klar, dass er offenbar mit keinem meiner Entführer mehr in Verbindung gestanden hatte. Er wusste also auch nicht, dass sie versagt hatten - oder hatte, falls er es doch vermutete, nicht erwartet, dass ich hier auftauchen würde. Und wenn überhaupt, dann jedenfalls nicht so schnell. Was bedeutete,
dass mein Anblick wirklich ein Schock für ihn gewesen sein musste.
    »Oh«, erwiderte ich. »Das ist ja gar nichts. Es wird noch viel besser.«

9
    V ater Cribari kniff die Augen zusammen. Seine Haut war so verschwitzt, dass man damit eine Pfanne hätte fetten können. Dunkle

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