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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Wirkung auf mich. In diesem Augenblick begriff ich die Geschichte, erhaschte einen Blick auf Eiferer und Inquisitoren, auf Männer, die Frauen verbrannten, gegen Hexen den Schwefel vom Himmel erflehten. Ich sah Selbstmordattentäter und Sophisten, ich sah Zeitalter über Zeitalter, in denen Menschen Gewalt als Religion betrachteten. Und das alles sah ich wiedergeboren in seinen Augen. Die Vergangenheit und die Gegenwart waren identisch. Ein unendlicher Kreis.
    »Das genügt«, erwiderte ich. »Sie sind erledigt.«
    »O nein«, flüsterte Cribari. »Wir sind noch nicht fertig miteinander, ganz gleich was da kommen mag. Sie sind doch eine Missgeburt.« Sein Blick zuckte zu Grant hin. »Sie beide sind eine Beleidigung der natürlichen Ordnung. Unser Herr wird Sie auslöschen, ich werde Sie ebenfalls auslöschen, so wie es mir aufgetragen wurde. Sie werden vernichtet werden.«
    Grants Augen glühten vor Ärger. »Sie werden keine Hand an sie legen.«

    »Ich werde nicht aufgeben.« Cribari zuckte vor, seine Wangen röteten sich, und er presste seine langen, blassen Finger wie Krallen gegen die Wand hinter sich. »Das hier wird enden, bevor auch sie sich fortpflanzt - ebenso wie der Rest dieser Hexenköniginnen - und den Schmutz ihres Blutes weitergibt. All diese Jahrhunderte haben wir damit verbracht, ihre Blutlinie zu beobachten und unsere Zeichen hinterlassen, auf dass unsere Warnungen nicht vergessen würden …«
    Cribari sprach weiter, aber ich hörte ihm schon nicht mehr zu. Grant zitterte. Sein Gesicht war entweder versteinert oder so wütend und dabei vollkommen weiß vor Wut, dass mich plötzlich eine heiße Woge überkam. Das war Furcht, nichts als stinkende, widerliche Furcht. Ich sah mich um und bemerkte Zee und die anderen, die unter dem Bett hockten und mich beobachteten.
    Grants Flöte steckte noch in ihrem Etui. Er packte meine Hand und drückte sie, wie ein sonnendurchfluteter Schraubstock. Ich hörte das lauter werdende Rollen in seiner Brust und spürte, wie die Macht aus jeder seiner Poren strahlte. Als er den Mund öffnete, hörte es sich an, als seufze ein Berg im Winter, tief, grau und vor Alter ächzend.
    Cribaris Mund klappte zu, er taumelte gegen die Wand zurück und zerrte an seinem Kragen. Dann fuhr er sich mit den Nägeln über die Kehle und schnappte nach Luft - wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die Augen kniff er zusammen, als litte er unter grauenvollen Schmerzen. Er versuchte zu sprechen, doch es drang nur ein Zischen aus seinem Mund. Danach schlug er die Hände über die Ohren. Grants Miene verriet dabei keinerlei Emotion, auch keine Gnade, kein Mitgefühl, sondern nur eine kalte Gleichgültigkeit und Entschlossenheit. Er holte nicht einmal Luft. Seine Stimme hatte jede Menschlichkeit verloren,
schwoll wie der Buckel eines Raubtieres an - und dabei waberte die Luft und schlug gegen meine Haut, als breche ein Strom los oder als werde eine mächtige Faust geballt.
    Der Priester kreischte. Blut tropfte aus seinen Ohren. Ich spürte, wie Zee und die anderen Jungs aus dem Schatten unter dem Bett krochen und zusahen. Ich zerrte an Grants Hand, rief seinen Namen. Doch er sah mich nicht einmal an. In seinen Augen glaubte ich ein schwaches Glühen zu erkennen.
    Lichtbringer.
    »Grant!« Ich schrie und schlug ihm ins Gesicht.
    Endlich verstummte er, und die Stille, die nun entstand, erzeugte ein physisches Vakuum. Meine Ohren knackten, die Luft wurde aus meiner Lunge gesogen. Grant taumelte erst und sank dann auf die Knie. Ich folgte ihm, hielt immer noch seine Hand und versuchte zu verhindern, dass er zu hart auf dem Boden landete. Er war ein großer Mann, also wurde ich mit hinuntergezogen.
    »O Gott!«, stieß er schwer atmend hervor, hustete und würgte, drückte seine Stirn auf den Boden und hatte die Hände zu Fäusten geballt. Seine Haut war gerötet, vom Hals bis ins Gesicht hinauf. Ich schlang meinen Arm um seine Schultern und drückte ihn an mich, legte meine Wange gegen seine. Er hustete erneut, Blut spritzte auf den Boden.
    Ich war entsetzt. Grant packte meine Hand. »Was habe ich getan?«
    Ich riss meinen Blick von dem Blut los und blickte zu Cribari hinüber. Der Priester lag regungslos da. Ich tastete mit meiner zitternden Hand nach seinem Hals und fühlte einen Pulsschlag.
    »Er lebt noch«, sagte ich. Grant stieß die Luft aus und schloss die Augen, während er ein atemloses, inniges Gebet murmelte.
    Zee und die anderen tauchten unter dem Bett auf. Meine
kleinen Wölfe: Sie

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