In Den Armen Der Finsternis
einem bestimmten Grund hierhergeholt. Bringen wir also die Angelegenheit zu Ende.«
Vater Lawrence verkrampfte seine Hände noch fester, und sein Blick verriet das Unbehagen, das er empfinden musste. Ich wusste allerdings nicht, ob es an der Anspannung zwischen uns lag - oder aber daran, dass er etwas verbarg. Cribari deutete auf das Ziegelgebäude, auf das wir zugegangen waren. »Sehen Sie selbst nach.«
Berühmte letzte Worte, dachte ich, während ich suchend in die Schatten blickte. Ich suchte nicht nur nach den Jungs. Wir mussten verschwinden, und zwar schnell, doch ich kannte Grant zu gut. Das konnte eine Falle sein, aber wenn die Möglichkeit bestand, dass sein alter Freund hier irgendwo in der Nähe war, dann würde er die Gewissheit niemals ertragen, dass er den Mann im Stich gelassen hatte. Er musste selbst herausfinden, was Fakten und was Fiktion war. Dek und Mal, die kaum mehr als Schatten unter meinem Haar waren, fingen an, mir leise Bon Jovis Bad Medicine ins Ohr zu summen.
Wir betraten das ruhige Gebäude, das ein Labyrinth aus schmalen Gängen zu sein schien - aus langen, kahlen und schlecht beleuchteten Gängen. Die Decke war so niedrig, dass ich den Drang spürte, mich zu bücken. Auch Grant kauerte sich zusammen und stützte sich stärker auf seinen Gehstock. Schlimmer war noch, dass ich niemanden außer uns sah und auch niemandem hörte. Sogar die Geräusche, die wir selbst machten, wirkten gedämpft, wie erstickt. Jedes Klacken und Schlurfen erstarb sofort. In diesem Gebäude herrschte eine klaustrophobische, bedrückende Atmosphäre, wie in einem Käfig mit weißen Zwangsjacken. Mir lief eine Gänsehaut über den Körper.
Wir fuhren mit einem Aufzug in den sechsten Stock. Jeder von uns stand in einer Ecke des Fahrstuhls. Ich sah mich Cribari gegenüber. Er beobachtete mich ausdruckslos und finster, während Grant ihn gar nicht aus den Augen ließ. Vater Lawrence starrte zu Boden. Er hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Ich dachte darüber nach, welche Vorteile es eigentlich hatte zu atmen.
Der kleine Priester führte uns an das Ende des Flurs und zog dann einen Schlüssel aus der Tasche. Er zögerte, sah Cribari an, als wollte er sich die Erlaubnis einholen und schloss danach die Tür auf.
Grant wollte schon eintreten, doch ich kam ihm zuvor und glitt als Erste in den Raum. Das Zimmer war klein und nur von einer Lampe erleuchtet, die ein schwaches, gelbliches Licht spendete. Vor dem schmalen Fenster hing ein dünner, feiner Vorhang. Die Decke war sehr niedrig, die kalte Luft roch nach Gips.
In dem Raum stand ein Bett, in dem ein Mann lag. Vater Ross.
Ich wusste nicht genau, was ich erwartet hatte. Ein Zombie wäre irgendwie logisch gewesen, oder gar kein Mann, sondern nur Pistolen, die auf uns zielten, oder Beruhigungsspritzen - oder eben irgendetwas, womit Cribari beabsichtigt haben würde, uns am Ende zu bezwingen. Doch in dem Bett lag tatsächlich ein Mann, und ein Blick auf Grants Gesicht sagte mir, dass es der richtige Mann war.
Vater Ross hatte rote Haare und Sommersprossen auf der Nase. Früher einmal mochte er nett und gesund ausgesehen haben, aber jetzt waren seine Wangen eingefallen, und sein Körper war so knochig, dass er beinahe wie ein Leichnam aussah. Die Knochen bohrten sich durch das Laken, das man bis zu seinem
Hals hinaufgezogen hatte und auf dem schwarze Lederriemen den gebrechlichen Körper von den Schultern bis zu den Knöcheln festhielten.
Die Augen des Mannes waren geschlossen, und er sah ganz so aus, als schliefe er. Grant blieb regungslos stehen und starrte ihn an.
»Luke«, murmelte er.
»Er war einige Tage verschwunden, und als er zurückkam … Nach seiner Rückkehr war er vollkommen verändert«, sagte Vater Lawrence, der an der Tür stehen geblieben war. »Er ist sehr krank. Er muss ja krank gewesen sein, selbstverständlich, um … das zu tun, was er getan hat. Aber es gab auch noch … andere Veränderungen in ihm.«
»Was haben Sie mit den Leichen der Nonnen getan?«, erkundigte ich mich. Die sorgfältige Wortwahl des Priesters bereitete mir Unbehagen. Ich erinnerte mich an Franco und die Veränderungen, die an ihm vorgenommen wurden.
»Wir haben gewisse Vorkehrungen getroffen«, antwortete Vater Cribari. Vater Lawrence, der unmittelbar hinter ihm stand, warf dem Priester einen so boshaften Blick zu, dass ich mich schon fragte, ob ich ihn mir nur eingebildet hatte.
Fragend hob ich eine Braue. »Vorkehrungen für die Toten zu treffen, vor
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