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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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zerknüllte das Papier des Muffins und warf es in den Mülleimer. »Denk drüber nach, und schreib mir dann ein paar Absätze darüber, ob du dem zustimmst - und wenn ja, warum. Ich möchte es morgen haben.«
    Mitten im Biss hielt er inne. »Du hast mir gestern Hausaufgaben in Geschichte gegeben. Und noch mehr in Mathematik.«
    Ich fuhr ihm durchs Haar. »Na und?«
    Jedes andere Kind hätte einen Spruch gebracht, die Augen verdreht oder zumindest trotzig gezittert. Aber Byron war nicht so wie die meisten Teenager. Er betrachtete mich ernst und nachdenklich, was ihn älter aussehen ließ, eher wie einen Mann, nicht wie einen Jungen, eine verwitterte Waise. Aber es waren seine Augen, die ihn alt erscheinen ließen, als lasteten zahllose Jahre auf seiner Seele.
    Jetzt ist es so weit, dachte ich, während ich in diesem Blick verloren war. Er wird mich fragen, warum ich ihn so hart rannehme.

    Aber Byron fragte nicht. Er biss von dem Muffin ab und nickte bedächtig.
    »Morgen«, erwiderte er, immer noch kauend, und blickte einen Moment lang an mir vorbei. Ich sah über meine Schulter zurück. Das Mädchen mit den Dreadlocks, das die Milch getragen hatte, unterhielt sich mit einer der älteren Freiwilligen. Es war eine Frau mit gebräunten, sehnigen Beinen, die jeden Tag Shorts und unförmige Sandalen trug, ganz gleich, wie das Wetter sein mochte.
    Sie starrten mich an. Die junge Frau zuckte schuldbewusst zusammen, als ich sie ertappte. Aber die andere Frau, ich glaube sie hieß Doreen, erwiderte finster meinen Blick.
    »Lass mich raten«, sagte ich zu Byron. »Ich habe irgendetwas getan.«
    »Sie hält dich für gewalttätig«, antwortete der Junge offen. »Das hat sie mir gesagt. Sie hat mich sogar vor dir gewarnt. Ich soll mich von dir fernhalten.«
    Ich biss die Zähne zusammen und lächelte die ältere Frau provozierend an. »Offensichtlich hast du auch auf sie gehört.«
    Ich war zu einem hässlichen Lächeln imstande. Schließlich senkte Doreen den Blick, drehte sich um und machte sich an Müsli-Verpackungen zu schaffen. »Sie weiß nichts«, sagte Byron. »Außer dass du mit Grant schläfst. Und dass du ihr Angst machst.«
    »Hat sie dir das auch erzählt?«
    »Nein«, erwiderte er leise. »Du flößt vielen Menschen Unbehagen ein.«
    Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. »Geht dir das auch so?«
    »Bei dir fühle ich mich sicher«, gab er ohne Zögern zurück. Jetzt endlich klang Trotz in seiner Stimme mit, zeigte sich in
seinem vorgestreckten Kinn und dem Funkeln in seinen Augen. Wieder fuhr mir ein Stich durchs Herz, und erneut dachte ich an meine Mutter. Das ist gefährlich , hätte sie gesagt. Du bringst dich und andere in Gefahr. Unsere Art ist nicht dafür geboren, Wurzeln zu schlagen. Oder Freunde zu gewinnen. Oder gar Liebe zu erwecken.
    Aber ich war nicht meine Mutter. Ich war ein Trottel. Ein Idiot. Mein freier Wille war meine Realität - zum Guten wie zum Schlechten.
    »Gut.« Mehr brachte ich nicht heraus. Dann fuhr ich fort: »Halte dich in den nächsten Tagen in der Nähe des Heims auf, okay? Wenn du draußen herumspazieren willst, komm erst zu mir oder zu Grant. Aber geh nicht allein raus, kapiert?«
    Byron runzelte die Stirn. »Okay. Warum nicht?«
    Weil mir heute Morgen jemand in den Kopf geschossen hat und er vielleicht weiß, dass du eine meiner Schwächen bist. »Zu viele Perverse«, sagte ich jedoch nur.
    »Perverse.« Er sah mich durchdringend an. »Na klar.«
    Ich klopfte ihm auf die Schulter, drehte mich um und sah Doreen wieder an. Sie und die anderen Küchenhelfer. Ich betrachtete Gesichter und ließ zu, dass mich die Männer und Frauen ebenfalls betrachteten, und zwar heimlich, aus den Augenwinkeln. Sechs Monate lang hatte ich vermieden, persönliche Fragen zu beantworten, ebenso wie Grant. Also waren Klatsch und Spekulationen meine eigene Mythologie und mein Mysterium geworden. Die Frau, die mit dem Mann zusammenlebte, der hier das Sagen hatte, diese ruhige Frau, die gefährliche Frau. Diese Einstellung wurde von Zeit zu Zeit verstärkt, wenn es zu Gewalttätigkeiten kam. Manchmal benahmen sich die Leute, die in das Heim kamen, befremdlich. Wenn das passierte, half ich aus. Und obwohl ich bislang nie so lange an
einem Ort geblieben war, um mir einen Ruf zu machen, hatte ich mir hier doch bereits einen geschaffen.
    Ich war für die Sicherheit zuständig. Mein rechter Haken war nämlich ganz anständig. Und mein Blick wirkte über tausend Meter Entfernung. Ich war eine Frau, die auf

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