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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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wie ein bewegliches Ziel, als wir über den Parkplatz gingen. Mein Wagen stand immer noch in der Nähe des Pike Place Markets, falls er nicht längst abgeschleppt worden war, aber Grant hatte ja einen Jeep.
    Als wir ihn erreichten, erwartete uns Killy, die an der Fondtür lehnte und die Arme über der Brust gekreuzt hatte. Blut tröpfelte aus ihrer Nase. Sie war viel zu blass für dieses Schwarz, das sie trug - wie eine aufgewärmte Leiche sah sie aus.

    »Ich habe nachgedacht.« Aufmerksam betrachtete sie uns. »Ich habe über das nachgedacht, was mir dieses … dieses … Wesen in der Bar gesagt hat. Dass er meinen Geruch aufgenommen hätte. Da ist mir klar geworden, dass ich nicht unbedingt in größerer Sicherheit bin, wenn ich von Ihnen beiden wegkomme.«
    Das war zwar keine Frage, aber ganz offensichtlich hätte sie gern eine Antwort gehabt. Ich hatte jedoch keineswegs vor, ihr eine zu geben. Ein Seitenblick auf Grant versicherte mir, dass er ein ähnliches Zögern empfand, also drehte ich mich von der Frau weg und schloss die Türen des Jeeps auf. Ich sagte nichts, als sie hinter mir einstieg. Weder Verschwinde noch Renn, als wäre der Teufel hinter dir her.
    Ich fuhr einfach, mehr nicht.
    John Parr spielte im Radio. Es war eine akustische Version von St. Elmo’s Fire. Ich mochte das Lied zwar, aber es beruhigte mich auch nicht gerade. Ich fuhr ins Zentrum von Seattle und fand in der Nähe des Museums einen Parkplatz vor einem schmalen Ziegelgebäude, das ein Schaufenster und eine Glastür hatte, auf der der Name SARAI SOARS: ART GALLERY eingeätzt war.
    Die Galerie war seit dem Tod ihrer Besitzerin - oder ihres langen Urlaubs, das kam darauf an, mit wem man sprach - geschlossen. Doch ich besaß einen Schlüssel. Andere auch. Ich ging hinein und betrat eine andere Welt. Eine schattige, kühle Welt, klimatisierte Luft, die leicht nach Orchideen duftete. An den Wänden hingen Gemälde. Große, komplizierte Meisterwerke mit einem absurden Motiv: Einhörner. Einhörner, verloren in menschlichen Schlachten, in mittelalterlichen und modernen Umgebungen, bedeckt von Blut und Gischt, umringt von Schwertern und Schusswaffen. Die Unschuld im Herzen des Mordens. Die Reinheit im Tode.

    Im rückwärtigen Teil der Galerie, hinter einem geschnitzten hölzernen Paravent, befand sich eine Treppe. Ich stieg hinauf, ohne zu versuchen, meine lauten Schritte zu dämpfen oder ein Geheimnis daraus zu machen, dass ich kam.
    Auf dem Treppenabsatz zum ersten Stock gab es nur eine Tür, und sie stand offen. Der Inhalt aus dem Zimmer ergoss sich in den Flur. Bücher, überall nur Bücher. Hinter der Tür fand sich ein Labyrinth von ihnen. Berge und Stapel davon, die volle Buchregale an den Wänden umringten, Tische, die von Papieren überquollen, von Steinen, offene Kisten, gefüllt mit Packmaterial, das Ausschnitte freigab: auf merkwürdige Artefakte. Lampen mit bunten Glasschirmen standen gefährlich wacklig auf ledergebundenen Enzyklopädien. Die Stromkabel waren zwar nicht zu sehen, vermutlich waren sie aber irgendwo und irgendwie mit den Wänden verbunden. Leere Teetassen verteilten sich im ganzen Zimmer und säumten willkürlich den einzigen Pfad durch dieses Chaos, einen klaren, schmalen und sehr gewundenen Pfad.
    Jacks Zuhause. Sein Schatten schien immer noch warm über all seinen Habseligkeiten zu liegen.
    »Byron«, rief ich leise. »Ich bin’s.«
    Es raschelte und Byron erschien am anderen Ende des Raumes, steckte den Kopf hinter einem Buchregal hervor. Er trug Jeans und ein langärmliges graues Hemd. Sein Blick war durchdringend, finster, alt und sehr, sehr müde.
    »Ich bin froh«, sagte er. »Ich wusste nicht genau, ob du dich daran erinnerst, dass ich einen Schlüssel habe.«
    Ich erinnerte mich sehr genau daran. Vor Monaten schon, nach Jacks Verschwinden, hatte ich zu Byron gesagt, er solle hierhergehen, wenn er jemals Ärger bekommen sollte. Damals hatte ich Grund zu der Annahme gehabt, dass er eines Tages in
Schwierigkeiten kommen würde. Und nicht nur wegen seiner Beziehung zu mir.
    Wenn etwas geschah oder ich verschwinden würde oder Grant ihm nicht helfen konnte, dann war dies hier ein guter Ort. Komm hierher ins Atelier , hatte ich gesagt. Geh in diese Wohnung. Ich hatte Geld versteckt und Lebensmittel hinterlassen. Auch für meinen eigenen Gebrauch. Ich besaß noch andere sichere Häuser in anderen Städten. Die hatte ich von meiner Mutter geerbt.
    Aber dieser Ort war gar nicht mehr sicher. So etwas wie

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