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In Den Armen Der Finsternis

Titel: In Den Armen Der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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hatte. Hätte sie gelogen, würde Grant das erkannt haben. Aber nach dem Ausdruck auf seinem Gesicht zu urteilen hatten all ihre Worte der Wahrheit entsprochen. Jedenfalls der Wahrheit, die sie kannte.
    »Maxine!« Byron klang drängend. Ich richtete meinen Blick auf Grant, der jedoch vollkommen auf die alte Frau konzentriert blieb. Ich stieß mich vom Boden ab und eilte durch die Wohnung. Byron sah ich erst, als ich die Tür erreicht hatte. Er stand auf dem Treppenabsatz, die Hände zu Fäusten geballt. Killy war immer noch bewusstlos.

    Ich trat neben Byron und sah hinunter.
    Am Fuße der Treppe stand ein Mann, an die Wand gelehnt. Es war so dunkel, dass ich sein Gesicht nicht einmal wahrnehmen konnte. Dennoch wusste ich, wer es war. Ich hätte ihn überall erkannt.
    »Alter Wolf«, flüsterte ich.
    »Süßes Mädchen«, brummte er und rutschte an der Wand herab auf die Knie.

14
    M eine Mutter sprach nie über die Männer in unserer Familie. Ihre Existenz glich der von Fabelwesen oder Mythen. Keine Frau in meiner Blutlinie hat jemals über den Vater ihres Kindes gesprochen, niemals. Sie tauchten weder in ihren Tagebüchern auf noch in ihren Erzählungen. Selbst Sex war ein Tabu. Ich musste mich durch Bücher aus Bibliotheken darüber informieren … oder durch Kinofilme, nachts im Fernsehen der Motels, während meine Mutter auf Zombiejagd war.
    Im Nachhinein betrachtet war das aber durchaus logisch. Sex und Männer führten häufig zu Babys. Babys bedeuteten Tod und Mord - ein sehr hartes Lebewohl.
    Mein Großvater saß unten auf der Treppe und hatte die Beine vor sich ausgestreckt. Ich hockte neben ihm. Wir hatten beide Tassen mit heißem Tee in den Händen. Ich trank nicht, aber Jack schlürfte sehr bedächtig seinen Tee. Ein langer Kratzer überzog die eine Seite seines Gesichts. Er brauchte eine Rasur und eine Dusche. Sein Kurierbeutel war verschwunden, und auch von der Pumpgun war nichts zu sehen. Beim Einatmen zitterte er jedes Mal, und das Rasseln in seiner Brust erfüllte mich mit großer Sorge.
    »Man hat mir gesagt, du wärst gefangen worden«, erklärte ich.
    »Das war aber eine Lüge«, gab Jack ruhig zurück. »Doch auch wenn er mich gefunden hätte, hätte er mich wahrscheinlich wieder freigelassen. Folter bereitet bei Angehörigen meiner Rasse nur wenig Vergnügen. Um uns weh zu tun, muss man schon das Herz dessen finden, der uns bei Verstand hält, und uns dieses dann nehmen.« Er lächelte grimmig. »Also bin ich hergekommen und habe dich wie ein Verrückter gesucht.«
    Ich lehnte mich fast unmerklich an ihn. »Es ist ihm schon ziemlich gut gelungen, uns aufzuspüren. Mittlerweile glaube ich aber nicht, dass es noch eine Rolle spielt, wo wir hingehen oder mit wem wir zusammen sind.«
    »Er spielt«, murmelte Jack. »Er probiert aus und spielt herum und betrachtet staunend, was wir sind und was aus uns geworden ist. Wir alle haben uns verändert, Liebes. Deine Blutlinie, ich und auch Grant, wir alle haben eine Qualität, die es eigentlich gar nicht geben sollte.«
    Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Was meinte er damit? Doch bevor ich fragen konnte, hörte ich auf dem oberen Treppenabsatz Geräusche. Grant stand dort und sah auf uns herab. Seine Miene verfinsterte sich, als sein Blick auf Jack fiel. »Killy ist aufgewacht.«
    »Wir kommen sofort«, sagte ich, doch er reagierte gar nicht auf mich. Er trat einfach nur zurück, während er den alten Mann mit einer beunruhigenden Eindringlichkeit beobachtete.
    Jack schien das nicht zu bemerken, aber ich vermutete doch, dass er es eher aus Selbstschutz ignorierte. »Ist diese Killy die junge Frau, die ihr eben kreischend aus dem Haus geschleppt habt?«
    »Sie hat auf eine höchst interessante Weise auf Mary reagiert«, gab ich zurück und stand langsam auf. »Wie lange haben wir noch, was denkst du?«

    »Augenblicke oder Stunden.« Jack stand ebenfalls auf und seufzte. »Länger aber auf keinen Fall. Geduld war nie seine Stärke.«
    »Offenbar hat er auch keinen Sinn für Selbstschutz. Er ist sehr leichtsinnig.«
    »Leichtsinnig oder verzweifelt, oder vielleicht auch ein wenig verrückt.«
    Langsam stiegen wir die Treppe hoch und ließen unsere Teetassen auf einer Stufe stehen. Ich bot ihm meinen Arm. Er akzeptierte ihn mit einem schwachen Lächeln, das jedoch erlosch, als ich sagte: »Ich weiß, was er getan hat. Auch früher schon, bei einer meiner Ahnfrauen. Ich weiß, dass er den Mord an ihr arrangiert hat.«
    Jack blieb stehen und starrte mich

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