In den Armen der Nacht
»Mein Verleger spricht bereits von einem New-York-Times -Bestseller.«
»Wer’s glaubt, wird selig.«
Am liebsten hätte sie ihn zertreten wie einen lästigen kleinen Käfer. »Ich habe meine gesamte Recherche belegt, und wenn ich einem breiten Lesepublikum damit packende, lebendige Einblicke in die Varinski-Geschichte liefern kann, ist die Presse begeistert, und ich bekomme das entsprechende Standing. Voilà. Eine Story über Konstantines Korruptheit ist zwar gut und schön, aber das mit der Ikone würde wie ein Blitz einschlagen. Es geht eben immer und bei allem um Publicity.«
»So, so, um Publicity«, echote er. »Ich hab dich vorhin gebeten, mir alles von Anfang an zu erzählen. Das hast du wohl geflissentlich überhört. Also, wer sind die Varinskis für dich?« Er betonte jedes Wort.
»Wie meinst du das? Willst du wissen, ob ich mit ihnen verwandt bin?« Eine ärgerliche Röte schoss in ihre Wangen. »Ich bin doch nicht mit diesen Monstern verwandt! Und ich hab auch nie mit einem von ihnen geschlafen!«
Er sah betreten weg, ein kurzes Zucken seiner Lider, und dann wieder zu ihr. »Nein, das meine ich nicht. Es gibt eine Menge Ungerechtigkeit auf dieser Welt, Tasya Hunnicutt. Du weißt darum. Du hast genügend gesehen
und erlebt. Wieso stürzt du dich ausgerechnet auf diese Geschichte und versuchst, das Böse zu vernichten?«
»Weil ich es für richtig halte.« Lahme Antwort. »Und weil es mein Beruf ist.«
»Nein. Normalerweise tummelst du dich an anderen Schauplätzen. In Entwicklungsländern. Krisengebieten. Diktaturen. Du prangerst Gewalt und Menschenrechtsverletzungen an. Du machst Fotos. Du schreibst Artikel. Und du kannst dich bei deiner Recherchetätigkeit relativ sicher bewegen. Wenn du dir die Varinskis zum Feind machst, ist diese Sicherheit futsch. Und das weißt du auch. Also nochmal, warum ausgerechnet die Varinskis?«
»Ich hab dir bereits gesagt, dass es weltweit Regierungen gibt, die mich für meine Arbeit hassen.« Sie hatte nicht einkalkuliert, dass Rurik ihre Motive anzweifeln könnte und sie einem längeren Verhör unterziehen würde. Die meisten Typen interessierten sich erfahrungsgemäß bloß für gutes Essen, gute Drinks und guten Sex. Wieso musste sie ausgerechnet an Mr. Inquisitionstribunal geraten?
»Du spürst das Böse.« Er beobachtete sie mit unbewegter Miene.
Sie rutschte unbehaglich auf der Stuhlkante herum. Ihr schwante, worauf er hinauswollte.
»Du warst für Clovus und seine Fallen sensibilisiert. Du wusstest, dass sich die Varinskis in dem Grab aufhielten.«
»Sobald sie irgendwo in der Nähe sind, habe ich … ein grässliches Summen in den Ohren und diesen entsetzlichen
Flashback, indem ich lodernde Flammen sehe.« Du bist zu dicht dran,Tasya! Du balancierst verdammt nah an der Wahrheit!
»Ist dir so was schon öfter passiert?«
Merkwürdig, aber wenn sie in seiner Nähe war, hatte sie ständig Schmetterlinge im Bauch. Wenn sie ihn anschaute, stockte ihr der Atem.
Sie schaute ihn gern an, denn sie liebte seine goldbraunen Augen, das kantige, gut geschnittene Gesicht, den muskelbepackten Körper. Er sah umwerfend aus - vor allem nackt. Sie mochte seinen Duft, und sie mochte es, wenn er sie streichelte - dieses erotisierende Prickeln, das unter die Haut ging. Der Hauch der Ewigkeit, eingefangen in einem winzigen Augenblick - als wären sie füreinander bestimmt.
»Ist dir so was schon öfter passiert?«, wiederholte er.
Er blieb hartnäckig, ließ sich nicht abwimmeln.
Und sie war nicht willens, darüber zu sprechen - über jene Nacht, damals, vor langer Zeit, über die Flammen am Horizont und wie sie nach ihrer Mami geschrien hatte, weil sie entsetzliche Angst vor den grässlichen Männern gehabt hatte, deren Anwesenheit sie geradezu körperlich gespürt hatte. »Es tut mir aufrichtig leid, Rurik. Ich bin sicher nicht ganz unschuldig daran, dass sie das Grabungsgebiet gesprengt haben, aber ich schwöre dir hoch und heilig, dass ich mit so etwas nie gerechnet hätte.«
»Dann hast du es schon vorher gespürt, stimmt’s?« Er war wie ein Hund, der nach seinem Knochen buddelt. »Und trotzdem beteuerst du steif und fest, dass du nicht an das Übersinnliche glaubst.«
Sie hatte sich bisher moderat zurückgehalten, aber jetzt platzte ihr der Kragen. »Das ist nichts Übersinnliches. Es ist bloß so ein Gefühl!«, schnappte sie.
»Aber ein verdammt nützliches.« Er stand auf.
»Glaubst du an Übersinnliches?«
»Sogar sehr.«
Wollte er sie hochnehmen?
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