In den Armen der Nacht
Hausschreinen verehren.«
Rurik nickte. Sein Blick streifte vielsagend den Computer.
»Ich dachte mir, wenn das Objekt dermaßen wertvoll ist, muss es aus Gold sein, denn sämtliche Holzschnitte und Zeichnungen ähneln den Fotos von den Felsreliefs. Alle haben diesen angedeuteten Nimbus.« Sie tippte mit dem Finger auf die Jackentasche, in der sie den Chip aufbewahrte. »Daraus schloss ich, dass das Abkommen, das Konstantine traf, irgendwo auf dem Schatz dokumentiert ist.«
»Okay«, meinte Rurik gedehnt. Er runzelte die Stirn. »Trotzdem ist die These verdammt weit hergeholt.«
»Wenn Konstantine Varinski dieser … äh … Schokoriegel so wichtig war und er die Geschichte in die Welt setzte, dass der Teufel dieses Ding in sämtliche Himmelsrichtungen zerstreute - dann ist da doch irgendwas faul .«
»Mal angenommen, dass das, was du sagst, stimmt - und die Legende von den Varinskis ist ein Ammenmärchen, dass sie sich nämlich gar nicht in wilde Bestien verwandeln, sondern den Mythos bloß benutzen, um damit andere Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen … mmmh, das klingt plausibel. Aber was wäre, wenn …«
»Was wäre, wenn sie sich tatsächlich in Raubtiere transformieren?« Sie lachte milde amüsiert.
Unwillkürlich schoss er mit seinem Oberkörper nach vorn, ins Licht. Seine Miene war zu Eis gefroren, als hätte sie ihn mit ihrer Reaktion schwer getroffen. Er atmete tief durch, ließ sich zurücksinken. Tasya fühlte seine Nervosität und Wachsamkeit: wie ein Raubvogel, der darauf lauert, dass die Maus endlich aus ihrem Loch kommt.
»Das Ganze ist eben ein uralter Mythos. Sie sind weder Werwölfe, die bei Vollmond aktiv werden, noch blutsaugende Vampire, die nachts mit ihrem schweren Handicap hadern. Sie können überallhin und zu jeder Zeit, in Menschengestalt oder als Bestien. Das macht sie umso gefährlicher, findest du nicht?« Sie lachte abermals. »Dies zum Thema PR!«
»Unglaublich.« Er schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Was, wenn der Schokoriegel bloß eine russische Familienikone ist? Und dafür hast du die Strapaze auf dich genommen, bist hergeflogen, weil du einen wertvollen Varinski-Schatz in Clovus’ Grab auf der Isle of Roi vermutetest?«
»Aber verstehst du denn nicht? Die Varinskis sind die international erfolgreichen Hightech-Spione und Mörder im Business. Sie haben das Grab in die Luft gejagt.« Sie legte eine Hand auf sein Knie. »Sie versuchen irgendwas zu vertuschen.«
»Folglich bist du überzeugt, dass es Varinskis waren, die das Grab sprengten?« Seine Muskulatur spannte sich unter ihrer Berührung an, wurde bretthart.
»Na logo. Überleg doch mal, es deutet alles darauf hin.« Ihre Hand glitt von seinem Bein. »Du hast selbst behauptet, du glaubst nicht an Zufälle.«
»Dann wollten sie dich wahrscheinlich umbringen. Die Varinskis mögen es nämlich nicht, wenn man in ihren Geheimnissen herumstochert.«
Donnerwetter, Rurik wusste mehr über die Varinskis, als sie ihm zugetraut hatte. »Das ist durchaus möglich.«
»Du nimmst diese Möglichkeit ziemlich gelassen hin.«
Mehrere Antworten schossen ihr durch den Kopf, und sie verwarf alle, da sie zu melodramatisch klangen. »Diese Schatztruhe war eine Riesenenttäuschung. Als du den Boden abgetastet hast und dieses Tableau war nicht da, hätte ich fast geheult.«
»Ich könnte immer noch heulen.« Er wirkte ein wenig niedergeschlagen. »Ich frag ungern nach … aber was machst du eigentlich mit all deinen Informationen?«
»Ich hab ein Buch geschrieben.«
»Du hast ein Buch über die Varinskis geschrieben?« Ruriks Stimme überschlug sich fast.
Sie hob verblüfft ihre Brauen. »Es ist echt gut geworden.«
»Tu mir einen Gefallen. Bleib mir den Beweis schuldig.«
»Mein Verleger meint, es sei gut.«
Hellauf bestürzt hakte er nach: »Du hast schon einen Verleger dafür gefunden?«
»Na hör mal, mein Buch kommt in zwei Monaten auf den Markt. Als Hardcover!« Sie hatte ihr gesamtes schriftstellerisches Können darauf verwendet, Fakten und Fiktion zu einer spannenden Lektüre zu verknüpfen. Sie war stolz auf sich - und dieser Mistkerl wollte ihrer Euphorie einen Dämpfer verpassen. Schande über
dich, Rurik Wilder! »Kennst du dich in der Buchbranche aus?«
»Ich weiß bloß, dass die meisten Bücher floppen. In der Flut der Neuerscheinungen fällt deins vermutlich gar nicht auf.« Er klang vergleichsweise erleichtert.
»Irrtum, die Vorverkaufszahlen sind fabelhaft«, versetzte sie frostig.
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