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In den Armen der Nacht

Titel: In den Armen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd Beate Darius
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auf die Straßenkreuzung, auf eine Hügelkette, die sich in den Weiten des Horizonts verlor.

    »Ich hatte keine Ahnung, dass dieses Land so schön ist«, sagte Rurik.
    Die Nonne lächelte weich. »Diese Stelle ist der erste Ort in Ruyshvania, der heilig sein soll. Ganz früher haben die Heiden hier ihren Gottheiten gehuldigt.« Sie deutete den Hügel hinauf, und da stand er - ein Altarstein aus Granit, etwa zwei Meter breit und einen Meter tief, auf niedrigen Säulen aus flachen, aufgeschichteten Steinen, die aus der Erde ragten und das Monument erhöhten.
    Rurik realisierte auf Anhieb, dass es sich um eine kultische Stätte handelte. Ähnlich den Menhiren und Findlingen, wie sie überall in Europa stehen. Steinerne Kultobjekte, die vor mehr als viertausend Jahren mit primitiven Werkzeugen errichtet worden waren, zugleich Wunderwerke frühzeitlicher Technik.
    »Die Christianisierung kam schon sehr früh nach Ruyshvania«, erklärte die Ordensschwester, »so um das dritte Jahrhundert, aber sie bekamen den Stein nicht von dort weg. Folglich erklärten die Christen die andere Hälfte des Berges zu der ihren. Auf dieser Hälfte steht eine kleine Kapelle, die Unserem Herrn geweiht ist, während die andere Hälfte der Natur huldigt, und wir haben immer in Harmonie zusammengelebt.«
    »Kein Wunder, dass die heidnischen Bewohner diese Stätte für heilig erklärten«, meinte Rurik.
    »Das ist aber noch nicht alles.« Die Nonne fasste ihn am Ärmel - nur am Ärmel, nicht am Arm - und führte ihn zu einer Felsformation, die sich vor dem verkohlten Stamm eines alten Baumriesen erhob.

    In der Mitte der Felsen klaffte ein Loch, kohlrabenschwarz und unergründlich.
    Er rief Tasya, die ihnen nicht gefolgt war. »Schau mal. Eine Höhle!«
    Sie sah zu ihnen und schüttelte den Kopf.
    »Ein Eingang zur Unterwelt. Es heißt, das ist der Weg in die Hölle.« Als hätte sie jemand angestoßen, schwankte die Nonne seitwärts. »Aber ja, natürlich, Schwester Teresa! Ich werde ihnen auch die andere Geschichte erzählen. Das ist doch kein Grund, so ungehalten zu sein.« Mit einem märtyrerhaften Seufzen setzte sie hinzu: »Es wird auch gemunkelt, dass es sich dabei um einen geheimen Fluchtweg für die königliche Familie von Ruyshvania handelt. Für den Ernstfall. Angeblich führt der Gang durch die Felsen und endet auf der anderen Seite, in Ungarn. Aber die Geschichte mit dem Weg in die Hölle ist sicher pittoresker, finden Sie nicht?«
    Rurik mochte Schwester Maria Helvig. Er mochte ihre kindliche Begeisterungsfähigkeit und ihre Aufgeschlossenheit, dass sie die heidnischen Bewohner, die hier lange ihren Gottheiten gehuldigt hatten, nicht naserümpfend verurteilte. »Das ist alles sehr spannend, Schwester. Wo lebt die königliche Familie?«
    »Die Dimitrus sind inzwischen alle tot. So wird jedenfalls gesagt. Sie lebten hier oben.« Die Ordensfrau deutete auf den Gipfel des Berges.
    Rurik war mit einem Mal hellwach. »Was ist mit ihnen passiert?«
    »Sie wurden ermordet. Vor fünfundzwanzig Jahren war die Nacht taghell von dem schrecklichen Feuer. Sie schrien und bettelten um ihr Leben.«

    Er fixierte die Ordensschwester, die mit leiser Stimme ihre Erinnerungen wiedergab.
    Sein Blick glitt zu Tasya. Sie starrte weiterhin zu der Bergkrone, ihre für gewöhnlich lebhafte Miene unbewegt.
    »Die Schwestern meinen, ich soll Ihnen sagen, dass dieser Baum sehr alt war, groß, grün und das Symbol der königlichen Familie. Sie fackelten ihn ebenfalls ab, und in jener Nacht trauerten alle Ruyshvanier.« Die Nonne bekreuzigte sich, ihre Lippen bewegten sich kaum merklich.
    Tasya hörte sie. Und drehte den Kopf. »Wir kehren jetzt besser um.«
    Er musste jedoch ganz sichergehen. »Tasya, wirf mal einen Blick in diese Höhle. Die würde ich mir gern genauer anschauen. Bist du dabei?«
    Nach einem Blick auf das dunkel gähnende Loch im Boden versetzte Tasya mit Nachdruck: »Diese Öffnung führt geradewegs in den Vorhof der Hölle, und ich werde diesem Weg nicht folgen: Und wenn du dich auf den Kopf stellst und mit den Beinen in der Luft strampelst!« Sie schob trotzig ihr Kinn vor und fixierte Rurik, ihre Augen eisblau wie der Himmel an einem klirrend kalten Wintertag. »Ich war schon mal in dieser Höhle. Ich gehöre nämlich zur königlichen Familie. Ich konnte durch diesen Geheimgang fliehen. Ich bin die letzte noch lebende Dimitru. So, jetzt kennst du alle meine Geheimnisse - mein Leben liegt in deiner Hand.«

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    D ie Schwestern meinen, Sie

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