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In den Armen der Nacht

Titel: In den Armen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd Beate Darius
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sie die Antworten geben, die Tasya suchte?
    Also buddelte sie die Truhe kurzerhand mit den Fingern aus.
    Einmal spähte sie sehnsüchtig zu dem Schlüssel, der auf der Kanzel lag - aber nein. Sie wagte es nicht, ihn in das schmutzverkrustete Schloss zu stecken. Wenn der rostige Schlüssel nachgab, brach er womöglich ab. Tausend Jahre, und Tasya Hunnicutt setzte die ganze Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand, bloß weil sie es in ihrer Hektik mal wieder nicht abwarten konnte und den Schlüssel zerbrach. Bei der Vorstellung überlief sie eine eisige Gänsehaut.
    Endlich ließ sich die Truhe bewegen, und Tasya gelang es, sie aus dem Loch zu bergen. Sie drehte sie in den Händen, bestaunte das erlesene Kunsthandwerk. Am liebsten hätte sie das Kästchen wie ein Geburtstagspäckchen
geschüttelt und angesichts des Raschelns und des Gewichts zu erraten versucht, ob sich ihr sehnlicher Wunsch erfüllte.
    Sie schloss es in ihre Arme und fragte sich, was wohl darin war. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und drückte die schmutzverkrustete goldgehämmerte Truhe an ihre Brust. Lag die Ikone darin? Hatte sie endlich den Beweis gefunden? Hing ihre Rache bloß noch davon ab, ob sich der Schlüssel im Schloss drehen ließ?
    Sie griff nach dem Schlüssel. Ließ ihn dummerweise fallen. Er fiel mit lautem Klirren auf den Stein.
    Ihr Herzschlag donnerte ebenso laut.
    Sie traute sich kaum hinzuschauen. Kaum riskierte sie einen Blick, bemerkte sie die winzigen Rostpartikel, die auf dem Boden verteilt lagen. Der Schlüssel war jedoch heil geblieben.
    »Alles okay, Schwester«, rief sie. »Nichts Dramatisches passiert.«
    Mit einem Zipfel ihrer Bluse wischte sie über den Schlüssel und säuberte akribisch den Bart. Ihr war bewusst, dass der Schließmechanismus durch irgendeinen Fremdkörper verstopft sein könnte und dass es angesichts des angegriffenen Metalls bestimmt eines Expertenteams bedurfte, die Truhe zu öffnen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass ihre Vision zutraf und der Schlüssel tatsächlich in das Schloss passte. Sie hatte nur geringe Chancen auf Erfolg - trotzdem war es wenigstens den Versuch wert.
    Sie stellte die Truhe auf den Boden, steckte den Schlüssel in das Schloss. Wo er prompt auf Widerstand
stieß. Sie zog ihn wieder heraus, wischte erneut daran herum - die Flecken in ihrer Bluse würden sich bestimmt nie mehr auswaschen lassen - und probierte es erneut.
    Der Schlüssel klemmte.
    Sie hob die Truhe auf, so dass das Schloss in Richtung Boden zeigte. Atmete tief durch - ihr war gar nicht wohl bei ihrem Entschluss - und schlug mehrmals behutsam mit der flachen Hand darauf.
    Ein kleiner Kiesel rollte auf den Boden.
    Dieses Mal passte der Schlüssel.
    Das Schloss klickte.
    Ihr Herz trommelte gegen ihren Rippenbogen, als hätte sie eben einen Marathonlauf absolviert.
    Sie öffnete den Deckel.
    Zum ersten Mal nach nahezu eintausend Jahren erblickten menschliche Augen die Ikone der Jungfrau Maria.
    Und die Heilige Jungfrau blickte zurück.
    Ihr Umhang schimmerte in einem satten, strahlenden Purpurrot, und der goldene Heiligenschein, der ihr Gesicht umkränzte, glitzerte im Licht der dämmrigen Kirchenbeleuchtung. Ihr Gesicht war bleich und still, der Blick ihrer großen dunklen Augen tief bekümmert, eine Träne zeigte sich auf ihrer Wange. Denn in ihrem Schoß hielt diese Madonna den gekreuzigten Jesus.
    Tasyas Augen schwammen ebenfalls in Tränen, eine tropfte auf die Ikone. Hastig wischte sie sie fort und versuchte sich einzureden, dass sie bloß deshalb weinte, weil ihr dieser Augenblick des Triumphs so viel bedeutete.
    Überzeugen konnte sie sich damit nicht.

    Die traurigen, mitfühlenden Augen der Madonna erzählten eine Geschichte. Diese Frau hatte ihr Kind verloren. Sie wusste um das unendliche Leid in dieser Welt. In ihrem Gesicht sah Tasya ihre eigene Mutter.
    Tasya erinnerte sich an die züngelnden Flammen, die an den Gardinen geleckt hatten, an den Wänden. Sie hörte wieder die Entsetzensschreie des Personals. Sie sah die leidvolle Miene ihrer Mutter, die ihr kleines Mädchen zum Abschied küsste und es dann wegschickte.
    Tasya hatte natürlich geweint und geschluchzt, weil sie nichts von alldem verstand.
    Jetzt verstand sie es, und der tief empfundene Schmerz über den Verlust bekam eine neue Dimension.
    Ihre Mutter hatte sie gehen lassen, hatte losgelassen, weil sie wusste, dass ihre eigene Zeit abgelaufen war … und dass sie sich nie wiedersehen würden.
    Der Schmerz in

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