In den Armen der Nacht
austricksen. Aber … aber wenn seine Geschichte stimmte …
Sie grübelte hin und her, bevor eine Überlegung in ihrem Kopf Gestalt annahm. »Wer sagt dir denn, dass der Pakt mit dem Teufel erlischt, sobald du die vier Ikonen beisammen hast?«
»Meine Mutter hatte eine Vision.«
»Deine Mutter hatte eine Vision«, wiederholte sie mit einem Hauch von Sarkasmus in der Stimme. »Und wir glauben das, weil …?«
»Weil ich dabei war. Weil etwas durch sie sprach. Ich sah und hörte es.«
»Hat sie öfters solche Anwandlungen?« Sie schlug einen herablassend verständnisvollen Ton an, wie jemand, der zu einem Idioten sprach.
Statt ihr zu antworten, sprühten Ruriks Augen Blitze. Erstens hackte sie auf seiner Mutter herum, und zweitens nahm sie ihn nicht für voll!
Aber gut.
»Nicht dass ich wüsste«, gab er schließlich zurück. »Was mich betrifft, war es das erste Mal, dass sie eine Vision hatte. Um es auf den Punkt zu bringen: Die beiden ersten Teile ihrer Prophezeiung trafen prompt ein. Mein Vater brach plötzlich zusammen. Und die Freundin meines Bruders fand die erste Ikone.«
Donnerwetter. Tasya überspielte ihren Schock, indem sie die Sache ins Lächerliche zog. »Es muss frustrierend für dich gewesen sein, dass eine schwache kleine Frau eine der Ikonen fand.«
Er betrachtete sie abschätzig-kühl und schüttelte den Kopf. »Nein, denn die Prophezeiung meiner Mutter lautete: ›Kraft ihrer Liebe werden sie die Heiligenbilder zurückbringen.‹«<
»Meine Güte, was soll das wieder heißen? So ein Schwulst!«
»Ich interpretiere es so, dass, wenn ich die Ikone finde, es an dir liegt, sie meiner Familie zurückzubringen.«
Tasya bekam eine Panikattacke. Ihr Herz trommelte wie wahnsinnig gegen ihren Rippenbogen. »Das kannst du knicken. Ich bin nicht in dich verliebt!«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über seine Lippen.
Die Enttäuschung traf sie schmerzhaft wie ein Schlag in die Magengrube. »Wenn du das denkst, erklärt das zwangsläufig eine ganze Menge. Deshalb hast du dich die ganze Zeit über mit mir herumgetrieben, statt auf
eigene Faust nach der Ikone zu suchen.« Gottlob hatte sie das gute Stück lokalisiert und konfisziert. Fast hätte er sie mit seiner anrührenden Geschichte weichgeklopft, aber sein verlogenes Lippenbekenntnis öffnete ihr endlich die Augen! Nein, sie würde hart bleiben.
»Du schaffst Probleme, wo gar keine sind. Falls die Prophezeiung zutrifft, falls irgendeine höhere Macht, die sich für das Gute einsetzt, durch meine Mutter spricht, glaubst du dann allen Ernstes, dass diese Instanz sich dadurch täuschen ließe, dass ich dir die große Liebe vorspiele?« Er starrte sie eindringlich an, als wollte er ihrer Logik auf die Sprünge helfen, während sie innerlich kochte.
Die Wut ließ sich leichter kanalisieren. Bedeutend leichter. »Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht. Im Übrigen glaube ich nur, was ich sehe, höre und fühle.« Sie zeigte auf den verkohlten Baumstumpf. »Mein Vater trug mich früher oft zu dem Baum da unten, dem Symbol der Familie Dimitru. Er kletterte mit mir bis in die Krone. Dann deutete er auf das Land - der Blick war ähnlich wie von hier oben - und sagte: ›Dieser Baum wächst seit Anbeginn der Zeit auf unserem Berg. Er symbolisiert das königliche Blut der Dimitru, und solange der Baum existiert, existieren auch die Dimitru.‹«<
Rurik legte einen Arm um ihre Schultern.
Sie schob ihn weg. »Weißt du, was damals passierte? Der Diktator Czajkowski heuerte die Varinskis an, um meine Familie auszulöschen. Sie sollten uns alle töten, und er gab die strikte Anweisung, den Baum abzufackeln,
damit jeder in Ruyshvania begriff, dass die königliche Familie nie mehr zurückkehrt.«
Obwohl Tasya sich sträubte, schloss Rurik sie spontan in seine Arme. »Tasya, Liebes, weine ruhig, wenn dir danach zumute ist.«
»Ich wünschte, ich könnte es!« Sie hasste es. Sie hasste diese aufgestaute Wut, diesen ohnmächtigen Schmerz, der sie innerlich geradezu zerriss. Andererseits wollte sie nicht, dass er ihre Tränen sah. »Ich höre noch immer die Entsetzensschreie. Sehe das lodernde Flammenmeer. Ich träume davon, wie sie meinen Vater foltern und meine Eltern qualvoll verbrennen. Ich träume von den Menschen, die für uns starben, und ich leide mit den Ruyshvaniern, die ein Kind oder ein Elternteil verloren. Seitdem verfluchen sie unsere Dynastie, kein Zweifel, und es liegt mir sehr am Herzen, ihnen einen dauernden Frieden wiederzugeben.
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