In den Armen des Eroberers
küßte sie zart. »Charles muß mich töten – und dich jetzt auch –, um den Titel zu bekommen. Er hat versucht, ein direktes Vorgehen zu vermeiden; denk an die Kutsche, den Brandy, die Seeleute – all das läßt sich nicht ohne weiteres mit ihm in Zusammenhang bringen. Doch diese Methode hing zu sehr vom Zufall ab und brachte keinen Erfolg. Also, überleg mal: Für ihn ist es unerläßlich, daß wir beide aus einem einsehbaren Grund ums Leben kommen. Nach Tollys Tod würde es einen Aufruhr geben, wenn auch nur einer von uns erschossen würde.«
»Zweimal würde kein Mensch das hinnehmen«, warf Vane ein. »Und Charles weiß auch, daß wir anderen keine Ruhe geben würden, solltet ihr unter verdächtigen Umständen sterben.«
»Deshalb hat er sich auf einen Tod für uns konzentriert, den die Gesellschaft vorbehaltlos verstehen würde, und, was noch wichtiger ist, den die Familie nicht nur hinnehmen, sondern mit ihm gemeinsam zu vertuschen suchen würde.«
Vanes Kiefer wirkten kantig. »Der Gedanke behagt mir überhaupt nicht, aber wenn er es tatsächlich so geplant hat, dann kann er sich verdammt gut in uns hineindenken.«
Devil nickte. »Er ist schlau. Zwar nicht klug, aber schlau.«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Honoria. »Was für einen Tod hat Charles denn nun für uns vorgesehen?«
Devil fixierte sie mit leerem Blick. »Charles kennt mich, solange ich lebe. Er kennt mein Temperament, meinen Zorn, er hat eine Vorstellung davon, was meinen Jähzorn weckt. Mit diesen drei sorgfältig durchdachten Briefen hat er es so eingerichtet, daß ich dich aus Chillingworths Haus kommen sehen mußte.«
»So viel habe ich mir schon selbst zusammengereimt.«
»Von da an verläßt er sich auf mich – auf meinen Jähzorn. Er rechnet damit, daß ich mich wie der typische vor Eifersucht blinde Gatte aufführe, damit er uns dann beide umbringen und die Morde meinem berüchtigten Jähzorn zuschreiben kann.« Honoria sah ihn lange an. »Es soll so aussehen, als hättest du in einem Anfall von Wut und Eifersucht zuerst mich und dann dich selbst umgebracht?«
Devil nickte.
Honorias Augen verengten sich zunächst zu Schlitzen, dann sprühten sie Feuer. »Charles«, sagte sie, »ist eindeutig kein Cynster.« Sie wandte sich Devil zu. »Wie wollen wir ihn dingfest machen?«
»Auf die einzig mögliche Art: indem wir abwarten, bis er sich verrät.«
»Wie sieht also dein nächster Schachzug aus?« Vane reichte Devil den Brief zurück.
»Zunächst einmal entwerfen wir selbst einen Plan, der genau die Vorgehensweisen beinhaltet, die Charles vom Erfolg seines Plans überzeugen können. In jedem guten Theaterstück verrät der Schurke sich erst in der letzten Szene; entsprechend wird Charles erst in Erscheinung treten, wenn wir, seine Opfer, die vorangehenden Szenen richtig spielen.« Devil beugte sich angespannt vor und sah erst Vane, dann Honoria an, die ruhig und aufmerksam an seiner Seite saß. Er lächelte kalt. »Die Eröffnungsszene unseres Melodrams ist schon beendet. Und in der nächsten Szene …«
Um sechs Uhr am folgenden Morgen standen sich zwei von Nebel umwallte große Gestalten, Pistolen in den Händen, auf dem Paddington Green gegenüber. Ihre Sekundanten standen ein wenig abseits; schon senkte sich die weiße Fahne. Zwei Schüsse peitschten auf. Einer der Hauptakteure brach zusammen, der andere, schwarzverhüllt, wartete, bis der Arzt sich über den Gestürzten beugte, reichte seine Pistole dann dem Sekundanten und wandte sich steif ab.
Er und sein Sekundant stiegen in eine schwarze, wappenlose Kutsche und fuhren davon.
Die dritte Szene des Stücks spielte sich später am Vormittag ab.
Adlige auf dem Morgenspaziergang über den Grosvenor Square, Kindermädchen mit ihren Schützlingen, Gouvernanten und junge Damen – alle bezeugten den unerwarteten Anblick des Reisewagens der St. Ives. Er rollte auf den Platz und hielt vor St. Ives' Haus; ein Heer von Dienstboten eilte herbei und lud Berge von Gepäck auf.
Viele sahen verwundert zu, dann öffnete sich die Haustür.
Seine Gnaden, der Herzog von St. Ives, erschien mit versteinerter Miene und führte eine tief verschleierte Frau am Arm. Angesichts ihrer Größe gab es nur wenige, die nicht die Herzogin in ihr erkannten; ihre starre Haltung und ihr stolz erhobenes Haupt legten den Schluß nahe, daß es Streit gegeben hatte, womöglich einen skandalösen Bruch in der bisher augenscheinlich so glücklichen Beziehung.
Unter den aufgerissenen Augen
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