In Den Armen Des Schicksals
Heimat ihrer Vorfahren steckte Billie bereits tief in der Faszination von Geschichte und Geheimnissen.
Sie fasste Maras Hand, ohne zu wissen, was sie erwarten würde. Sie hatte einen Cousin, der das seltene Talent besaß, lang vermisste Dinge und manchmal sogar Leute aufzuspüren, aber das kam nicht annähernd an diese Erfahrung hier heran.
Mara schwieg so lange, dass Billie schon dachte, das, was immer sie gerade verspürt hatte, wäre schon wieder verebbt. Mara saß weiter stumm da, mit geschlossenen Augen. Billie sah zu Iain. Er hatte die Brauen zusammengezogen und runzelte die Stirn, doch als er ihren Blick auf sich liegen spürte, drehte er den Kopf. Kaum trafen sich ihre Blicke, begann Mara zu sprechen.
„Ihr hattet Vorfahren … vor vielen Hundert Jahren. Billie …“ Mara verstummte, dann sprach sie weiter. „Ich kenne den Namen deiner Ahnin nicht.“ Sie wirkte immer aufgewühlter. Trauer verzerrte ihr schönes Gesicht. „Sie war ein hübsches Ding, mutig und klug. Voller Lebenslust und Entschlossenheit, so wie du, Billie. Sie war der ganze Stolz ihres Vaters und der Sonnenschein ihrer Mutter … Ihre Brüder beschützten sie.“ Wieder verstummte Mara, fast eine Minute lang. Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange, als sie endlich fortfuhr. „Sie sollte mit einem Cousin verheiratet werden, auch wenn sie ihn nicht liebte. Aber in jenen Zeiten war das nicht wichtig. Sie freute sich darauf, starke und tapfere Söhne aufzuziehen und ein gutes und sinnreiches Leben zu führen.“
„Mara“, sagte Iain leise, den Blick von Billies Gesicht abwendend, „du musst nicht weitermachen, wenn es dich so aufregt.“
„Und dein Ahn, Iain … er war ein guter Mann, ein mutiger Mann. Der Beste in allem, was er sich vornahm. Er würde an erster Stelle seines Clans stehen, wenn sein Vater starb. Die beiden hätten sich niemals begegnen sollen. Ihre Familien lagen miteinander im Streit. Sie waren … Feinde.“
Mara legte den Kopf zurück. Einen Moment lang schien sie zu aufgewühlt, um weiterzumachen. Billie wartete, und Iain neben ihr fühlte sich ganz offensichtlich unwohl.
„Eines Tages ging sie am See spazieren“, sprach Mara weiter. „Sie war mit ihren Brautjungfern zusammen, und da waren Männer, um sie zu bewachen.“ Sie öffnete die Augen. „Ich weiß nicht, wie ich sie nennen soll, ich kenne die richtigen Worte nicht. Ich weiß nichts über jene Zeit.“
„Ist schon in Ordnung“, sagte Billie. „Das macht nichts.“
Mara schaute sie an, und Billie hatte das sichere Gefühl, dass Mara eine andere sah. „Ihre Jungfern wurden von den Männern aus Iains Familie überfallen. Die Wachen wurden überwältigt. Die jungen Frauen … sie wurden zu Boden gestoßen und …“ Blanker Horror stand auf ihrem Gesicht.
„Hör auf damit, Mara“, warf Iain scharf ein. Er wollte seine Hand zurückziehen, doch Mara hielt seine Finger umklammert.
„Sie sprang in den See. Zu ertrinken war besser, als …“
Billie schauderte. Plötzlich war ihr, als wäre sie selbst dabei. Sie konnte die schreckliche Angst einer Frau aus dem Mittelalter spüren, die keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich selbst das Leben zu nehmen. Sie hörte die Schreie der Frauen am Ufer, fühlte das eisige Wasser über ihrem Kopf zusammenschlagen, so wie heute Morgen. Einen Moment lang konnte sie tatsächlich nicht atmen. Dann fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie hob den Kopf, Iain starrte sie an. Sie holte Luft. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, sah nur die Sorge in Iains Augen.
„Sie wurde gerettet“, sprach Mara weiter. „Sie konnte nicht schwimmen, aber bevor sie ertrank, wurde sie von deinem Vorfahren gerettet, Iain. Er kam und setzte der Gewalt an den Frauen ein Ende. Dann sah er die Lady im See, und er tauchte in das Wasser, um sie zu retten.“
Billie war keine Seherin, dennoch konnte sie Iains Gedanken lesen. Ein Teil der Geschichte hatte sich heute Morgen wiederholt.
„Als er mit ihr auf den Armen ans Ufer zurückkam, waren seine Männer verschwunden. Sie wussten, er würde wütend sein, denn trotz der Fehde zwischen den Clans war er kein Mann der Gewalt. Er erweckte die Lady zum Leben. Als sie die Augen aufschlug und in sein Gesicht sah, da wusste sie, dass er ihr nichts tun würde. Sie sahen einander an, und sie beide wussten, dass es ihnen bestimmt war, sich auf immer zu lieben.“
Iain schüttelte den Kopf, so, als wäre solch romantischer Humbug ihm völlig unverständlich. Doch seine
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