In Den Armen Des Schicksals
südlich von hier.“
„Also, es gibt absolut nichts? Iain Ross gehört ein Schloss, eine riesige alte Villa und ein recht ansehnlicher Teil von Schottland, und als Erinnerung an die MacFarlanes bleiben nur ein paar windschiefe Bäume und einige bemitleidenswerte Schafe?“
„Wie wär’s? Die erste Patientin, die ich heute besuche, ist Annie MacBean. Sie ist so alt, dass sie praktisch schon seit Anbeginn der Zeit hier lebt. Warum fragst du sie nicht nach Überbleibseln von den MacFarlanes? Denn wenn es so etwas gibt, dann wird Annie davon wissen.“
Zwanzig Minuten später kniete Billie vor Annie und ließ die alte Frau ihr Gesicht befühlen. Annie war einhundert Jahre alt und ihre Augen waren verblichen vom grauen Star. Sie lebte abgesehen von ihrer übergewichtigen Katze allein. Ihre Enkelin wohnte jedoch gleich nebenan und schaute mehrmals am Tag vorbei.
Annie mochte uralt sein, doch das tat ihrem Erinnerungsvermögen keinen Abbruch. „Aye, du hast die starken Knochen des Nordens. Du bist Schottin, Mädel, durch und durch, ganz egal, wo du geboren wurdest.“
„Man sagt mir nach, ich sehe aus wie meine Mutter. Und ihr sagt man nach, dass sie eine MacFarlane ist, durch und durch.“
„Deine Leute sind nicht mehr hier.“
„Ich weiß. Aber ist denn nichts von ihnen geblieben? Irgendwelche Bauten? Eine Kapelle vielleicht? Ein Haus? Ruinen? Ein Friedhof? Ich würde so gerne etwas sehen, das einst zu ihrem Leben hier gehörte, Annie.“
Annie nickte. Lange blieb sie still, als würde sie überlegen. „Hast du den Stein gesehen?“, fragte sie schließlich.
„Ich bin zum ersten Mal so weit westlich gekommen. Ich habe also noch nichts gesehen.“
„Es ist nicht weit. Du kannst hinlaufen.“
„Großartig.“ Billie richtete sich auf. „Ich gehe spazieren, solange Dr. Melville sich um Sie kümmert. In welche Richtung muss ich gehen? Und worauf muss ich achten?“
Annie beschrieb ihr den Weg. Es klang nach einem angenehmen Spaziergang, weniger als eine halbe Meile, wenn sie sich an die angegebenen Abkürzungen hielt. „Du gelangst an eine Steinmauer mit einem Übertritt. Direkt hinter der Mauer siehst du dann einen großen Stein, weder besonders schön noch außergewöhnlich geformt. Er ist von einem deiner Vorfahren behauen worden.“
„Behauen?“
„Geh und finde ihn und sieh selbst.“
„Geh ruhig, wenn du möchtest“, meldete sich Alasdair. „Wenn ich mit der Untersuchung fertig bin, komme ich mit dem Wagen nach. Wir treffen uns dort.“
Billie packte sich erneut warm gegen die Kälte und den scharfen Wind ein, der unbehindert von Bäumen über das Moor fegte, an dessen Rand Annies Cottage lag. Annies Wegbeschreibung erwies sich als sehr genau, Billie folgte den Anhaltspunkten, während sie die Straße in der entgegengesetzten Richtung entlangging, aus der Alasdair und sie gekommen waren. Sie lief an der Hecke entlang und bog an einer breiten Öffnung auf das offene Feld ein. Die schwarzen Schafe und den mächtigen Hammel, die sie misstrauisch beäugten, ignorierte sie geflissentlich und steuerte auf die kleine Baumgruppe zu.
Dieser Spaziergang erinnerte sie an ihre Kindheit, als sie mit ihren Brüdern Karten gemalt hatte und auf Schatzsuche gegangen war. Sie folgte weiter Annies Wegbeschreibung und hoffte inständig, dass sie bei ihrem Ziel etwas Wertvolleres finden würde als das Monopoly-Geld und die Plastikketten aus dem Spielzeugladen, die sie als Kind aus der Erde gegraben hatte.
Es dauerte zwanzig Minuten, bevor sie bei der Steinmauer mit dem Übertritt ankam, der nicht mehr war als eine wackelige kleine Holzleiter. Zuerst fiel ihr der Stein gar nicht auf, weil sie nach etwas mindestens in der Größe von Plymouth Rock Ausschau hielt. Doch der fragliche Stein lag unter den Ästen einer Gruppe verwachsener Haselnussbüsche. Jemand, der den Stein unbedingt haben wollte, hätte ihn mit etwas Mühe nach Hause schleppen können.
Flechten wucherten über die Oberfläche, Brombeerranken, Besen- und Stechginster verdeckten ihn fast. Billie bückte sich und räumte eine Stelle frei, um sich hinknien zu können. Zuerst glaubte sie, den falschen Stein zu untersuchen. An diesem Felsbrocken gab es nichts Interessantes zu entdecken. Doch dann fuhr sie mit den Fingern darüber – und fühlte die Vertiefungen. Worte waren in die Oberfläche graviert worden. Sie hätte nicht sagen können, was sie erwartet hatte, eine Steinfigur vielleicht, irgendeine Art Monument. Doch das hier war ein
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