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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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wiederkehrendes Thema – wobei die Auswirkungen des Klimas durch den Nahrungsmangel verschlimmert wurden. Scott bemerkte, dass die Kälte und die Müdigkeit Oates mehr zusetzten als den anderen. Doch trotz dieser Warnsignale bekam Scott neuen Auftrieb, da sie sich dem Pol näherten und er entschlossen war, sein Ziel zu erreichen. Am Montag, den 15. Januar, schrieb er wie ein aufgeregter Schuljunge: »Es ist wunderbar, sich vorzustellen, dass wir nach zwei langen Märschen am Pol landen werden. Wir haben heute unser Depot mit Proviant für neun Tage verlassen, so dass es jetzt Gewissheit werden sollte – mit der einzigen entsetzlichen Möglichkeit, sehen zu müssen, dass die norwegische Flagge der unseren zuvorgekommen ist.«
    Genau dies geschah. Scotts Tagebucheintrag für den folgenden Tag schildert, wie die »entsetzliche Möglichkeit« Wirklichkeit geworden war:
    »Das Schlimmste oder beinahe das Schlimmste ist passiert. Am Morgen marschierten wir zügig weiter … , und am Nachmittag brachen wir in Hochstimmung auf mit dem Gefühl, dass der morgige Tag uns an unserem Ziel sehen würde. Etwa während der zweiten Stunde des Marsches entdeckten Bowers’ scharfe Augen etwas, was er für einen Steinhaufen hielt; es beunruhigte ihn, aber er meinte, es müsse sich um einen Sastragus handeln. Eine halbe Stunde später entdeckte er vor uns einen schwarzen Fleck ... Wir marschierten weiter und stellten fest, dass es eine schwarze Fahne war, die an einem Schlittenständer befestigt war; in der Nähe die Überreste eines Lagers; Schlitten- und Skispuren in beiden Richtungen und die unverkennbare Spur von Hundepfoten – von vielen Hundepfoten. Damit war uns alles klar. Die Norweger sind uns zuvorgekommen und waren die ersten am Pol. Es ist eine furchtbare Enttäuschung, und es tut mir sehr leid für meine treuen Gefährten.«
    Seltsamerweise hatte Gran genau am 15. Dezember, als sie noch mit den Schlitten unterwegs waren, geträumt, sein norwegischer Landsmann habe an diesem Tag den Pol erreicht. Seine Kameraden hatten die Bedeutung des Traums heruntergespielt, aber er bestand darauf, ihn in Griffith Taylors Browning-Band festzuhalten. Taylor schrieb es später eher einem außergewöhnlichen Zufall zu als dem Übernatürlichen, wie Gran glaubte, war aber offensichtlich von diesem sonderbaren Traum beeindruckt.
    Die psychische Wirkung ihrer Entdeckung war unglaublich. Der Schock raubte ihnen in dieser Nacht den Schlaf. Scott lag in seinem Schlafsack und dachte nun, da alle Hoffnung vergebens war, an die beschwerliche Rückkehr. Seine Gedanken müssen zu Kathleen gewandert sein, die zu diesem Zeitpunkt gerade bei Verwandten in Berlin war und Vorträge von Nansen besuchte. Bei dieser Gelegenheit sollen die beiden, laut Roland Huntford, eine Affäre gehabt haben. 13 Sicherlich genoss Kathleen die Gesellschaft und die Bewunderung dieses unerschrockenen Forschungsreisenden, der sie vielleicht an ihren Mann erinnerte. Sie fühlte sich wohl durchaus stark zu ihm hingezogen. Doch sie war zu ehrenhaft und zu vernünftig, um sich auf etwas einzulassen, von dem sie wissen musste, dass es sich zu einer dauerhaften und zerstörerischen Liaison entwickeln könnte. Mit derselben Entschlossenheit, mit der sie in ihrer Jugend ihre Jungfräulichkeit bewahrt hatte, während sie zugleich die Bewunderung ihrer vielen Bewerber genoss, würde sie darauf achten, dass diese Beziehung platonisch blieb. Sie machte kein Geheimnis aus ihren Begegnungen und schrieb Scott in einem Brief, den er niemals lesen sollte: »Er ist wirklich ein bezaubernder Mensch, und ich werde Dir, wenn Du zurück bist, über die schönen Zeiten berichten, die wir miteinander verbrachten. Er findet Dich phantastisch und mich noch mehr.« 14
    Am nächsten Tag – es war Mittwoch, der 17. Januar – erreichten sie endlich den Pol, aber, wie Scott bitter schrieb, unter ganz anderen Umständen, als sie sich vorgestellt hatten. Zu allem Übel wehte ein eiskalter Wind, und die Luft, die merkwürdig feucht erschien, drang ihnen bis ins Mark. Oates, Evans und Bowers – sie alle hatten Frostbeulen an Nase und Wangen, und Evans schmerzten die Hände. Sie sahen sich etwas um, aber in Scotts Tagebuch findet sich nichts als Verzweiflung, die in einem qualvollen Aufschrei gipfelte: »Großer Gott! Dies ist ein entsetzlicher Ort und für uns schrecklich genug, weil wir uns bis hierher vorgekämpft haben, ohne dadurch belohnt zu werden, die ersten zu sein.« Damit ist alles gesagt –

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