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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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ersten 36 Tage bis zum Beardmore-Gletscher sah Scotts »Schelfeis«-Ration etwa 4200 Kalorien pro Tag vor. Danach lieferte die »Gipfel«-Ration ungefähr 4600 Kalorien, die aus 210 Gramm Fett, 257 Gramm Protein und 417 Gramm Kohlenhydraten bestand. 8 Doch ähnlich wie das, was Amundsen verbrauchte, bevor er seine Rationen auf den Etappen seiner Rückreise vergrößerte, waren dies mindestens 1500 Kalorien zu wenig für Männer, die Schlitten zogen, statt Hunde zu treiben, und vielleicht sogar 3000 Kalorien zu wenig, wenn man von neueren Erkenntnissen mit dem Schlitten ziehen mittels menschlicher Kraft ausgeht, die in Antarktika gewonnen wurden. 9 Selbst Mitglieder der Transantarktischen Expedition von 1955–58, die Sno-cats fuhren und die Vorteile moderner Polarkleidung genossen, verloren bei einer Kost, die zwischen 5000 und 7000 Kalorien schwankte, an Gewicht. 10 Andere Erfahrungen in jüngerer Zeit haben gezeigt, dass Männer, die in Antarktika Schlitten ziehen, in der Spitze bis zu 11 000 Kalorien verbrauchen können, also 4000 Kalorien mehr, als der gesunde Körper in einem Zeitraum von 24 Stunden normalerweise absorbieren kann. 11 Ihre andauernde Unterernährung machte Scotts Leute auch viel empfindlicher für die Kälte. Außerdem wirkte sich die unzulängliche Nahrung sowohl auf ihre geistige als auch auf ihre körperliche Leistung aus. Wenn der Körper unterernährt ist, fängt er an, von seinen Fettreserven zu zehren, die wiederum chemische Stoffe – die Ketone – produzieren, welche im Blutkreislauf zirkulieren und Erschöpfungszustände und Depressionen auslösen. 12
    Die Kost war nicht nur in bezug auf die Kalorienmenge unzulänglich, es fehlte ihr auch an Vitaminen. Welche Rolle Vitamine spielen, war damals natürlich noch nicht ganz klar. Mediziner räumen zwar ein, dass man mit frischer Nahrung, vor allem mit Fleisch und Gemüse, Skorbut heilen konnte. Doch im Gegensatz zu früheren Generationen glaubten sie weniger daran, dass frische Nahrungsmittel die Krankheit hauptsächlich deshalb verhinderten, weil sie etwas für den Körper Wesentliches enthielten. Sie waren vielmehr der Meinung, Skorbut werde durch Leichengifte oder eine Säure-Intoxikation verursacht, die etwas mit verfärbtem Dosenfleisch zu tun habe. Erst Anfang der 1930er Jahre wurde endlich akzeptiert, dass Skorbut auf einen Mangel an Ascorbinsäure zurückzuführen ist. Scotts Rationen für die Schlittenzieher enthielten aber überhaupt kein Vitamin C! Die einzige Gelegenheit für die Männer, dieses aufzunehmen, bot sich, wenn ein Pony geschlachtet und dessen Fleisch verzehrt wurde. Vitamin-C-Mangel war wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass Edgar Evans’ Hand nicht heilte, und auch an möglichen Problemen mit dem Narbengewebe von Oates’ Verwundung aus dem Burenkrieg schuld. Ferner fehlten alle anderen wichtigen Vitamine, in erster Linie die aus der B-Gruppe, deren Mangel auf Dauer mentale und nervöse Störungen verursachen kann.
    Doch hätten nicht auch andere Faktoren zusammengewirkt, um ihr Vorankommen zu verlangsamen, so hätte die Pol-Gruppe trotz der kärglichen Nahrung ihre Qualen überstehen können, und Scott kann schwerlich dafür verantwortlich gemacht werden, dass er im Jahr 1912 die Bedeutung von Vitaminen nicht richtig erkannt hatte. Allerdings muss seine Entscheidung, fünf statt vier Männer zum Pol mitzunehmen, folgenreich gewesen sein. 13 Zunächst einmal gab es für unterwegs weniger Lebensmittel und Brennstoff, weil man mit allen Vorbereitungen davon ausgegangen war, dass mit der letzten Hilfsgruppe vier Männer zurückkehren würden. Niemals war beabsichtigt gewesen, auf diesen zusätzlichen Meilen zum Pol und zurück (insgesamt fast 500 Kilometer) einen fünften Mann zu ernähren. Das Essen war auch in Einheiten für jeweils vier Personen verpackt worden. Die Rationen mussten daher angebrochen und neu proportioniert werden – eine ebenso zeitaufwendige wie mühsame Prozedur, die Irrtümer zuließ. Außerdem dauerte das Kochen für fünf statt für vier Personen 20 Minuten länger und verbrauchte mehr Brennstoff. Das Zelt war für fünf nicht groß genug, und die sich daraus ergebende Unbequemlichkeit stellte für Männer, die bereits ohnehin unter Stress standen, eine zusätzliche Belastung dar. Mehr Nahrung und Platz stand ihnen zur Verfügung, nachdem Evans gestorben war, und auch später, als Oates das Zelt verlassen hatte, doch zu diesem Zeitpunkt war der Schaden bereits angerichtet.
    Außerdem

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