In den eisigen Tod
sehnen; die Sünde liegt darin, dass wir es nicht Gott überlassen, uns so lange hier zu lassen, wie es Ihm beliebt.« 11 Dies steht im Widerspruch zu einigen Darstellungen von Wilson als einem geborenen Märtyrer, einem fast heiligmäßigen, ziemlich passiven Menschen, der nur allzu bereit war, den Tod zu akzeptieren. Er hatte eine große Liebe zum Leben und die Überzeugung, dass Gott über den Zeitpunkt, an dem das Leben endet, entscheiden sollte. Dies erlangte auf der Rückkehr vom Südpol eine grauenhafte Bedeutung, als seine verzweifelten Gefährten Wilson zwangen, seinen Vorrat an Opiumtabletten herauszugeben, damit sie sich, wenn sie es wünschten, das Leben nehmen konnten. Er war auch so etwas wie ein Pazifist. Berichte über Ereignisse im Burenkrieg ließen ihn weinen wie ein kleines Kind, und er behauptete, er würde viel lieber sich selbst erschießen als jemand anderen. Er glaubte, »die abscheulichsten aller Sünden« würden als »die Ruhmestaten des Imperialismus« getarnt.
Religion war ein Thema, über das Wilson und Scott ernsthafte Meinungsverschiedenheiten hatten. Scott war Agnostiker und litt unter schweren Krisen, sowohl im Hinblick auf sich selbst als auch auf das Leben im allgemeinen. Düstere Stimmungen und Zweifel an Sinn und Zweck des Lebens überfielen ihn von einer Sekunde auf die andere. Wilsons Gelassenheit und Zielstrebigkeit waren für ihn wie ein Anker im Sturm. Scott beschrieb ihn später als »Leben und Seele der Gruppe, der alle Vergnügen auf die Beine stellte, der stets Verträgliche und Fröhliche, der findige Mensch, der alle Schwierigkeiten umschiffen konnte«. Andererseits fühlte sich Wilson von Scotts Aufrichtigkeit und Gerechtigkeitsliebe angezogen. Wilson war entzückt über seine Ernennung und tat fröhlich kund, dass es sich um eine Sache handele, die entweder den Tod oder die Heilung bringe, und war schon bald in die Vorbereitungen vertieft.
Der Expeditionsarzt Reginald Koettlitz oder »Cutlets«, wie sein Spitzname lautete, war noch vor Scott berufen worden. Er war 39 Jahre alt, ziemlich groß und schlaksig, und Markham hielt ihn für eine »gute, ehrliche Haut«, aber für humorlos und »außerordentlich arm an gesundem Menschenverstand«. 12 Koettlitz’ Ansichten über Skorbut, den Fluch der Polarexpeditionen, waren die für seine Zeit üblichen – nämlich, dass die Krankheit durch Gift aus verdorbener Nahrung verursacht werde und dass man sich nur vor ihr schützen könne, indem man das Essen rein und die Dosen luftdicht verschlossen hielt. Er glaubte fest, dass es so etwas wie Anti-Skorbut-Mittel nicht gebe. Wie viele seiner Zeitgenossen lehnte er Zitronensaft als Skorbut-Prophylaxe ab. Zitronensaft wurde so gern an die britischen Seeleute ausgegeben, dass die Amerikaner britischen Seefahrern den Spitznamen Limeys gaben, der später auf alle Briten ausgedehnt wurde. Koettlitz ignorierte auch eine aufkommende, allerdings noch nicht bewiesene Meinung, wonach die Krankheit nicht durch Verdorbenes, sondern durch das Fehlen eines wesentlichen Elementes ausgelöst werde. Es sollten noch weitere 15 Jahre vergehen, ehe die wahre Ursache, der Mangel an Vitamin C, richtig begriffen wurde. Allerdings erkannten andere Leute mit Polarerfahrung, wie etwa Armitage, die Bedeutung von frischem Fleisch, das Krankheiten vorbeugte, aber auch bei deren Heilung eine wichtige Rolle spielte.
Eine andere wissenschaftliche Stelle wurde dem fleißigen Thomas Vere Hodgson, dem Direktor der Meeresbiologischen Laboratorien in Plymouth, überlassen, der zum Naturforscher der Expedition wurde. Den Posten des Geologen erhielt Hartley Ferrar, ein 22jähriger Cambridge-Absolvent. Markhams Urteil über ihn lautete, dass er »überhaupt noch nicht flügge und ziemlich faul« sei, aber vielleicht zu »einem Mann gemacht werden« könnte. 13 Louis Bernacchi, ein anderer junger Mann, wurde mit 25 zum Expeditionsphysiker ernannt. Trotz seines jugendlichen Alters war dieser Tasmanier das einzige Mitglied der Expedition, das Erfahrungen in der Antarktis selbst, also nicht in der Arktis, gesammelt hatte, denn er hatte auf Cape Adare in Borchgrevinks Hütte überwintert. Markham hielt ihn für jemanden, der »immer schon erwachsen« war, und war bereit, über seine Verbindung zu Borchgrevink hinwegzusehen. 14
Die Unteroffiziere und Mannschaften wurden von der Marine übernommen, nachdem man die Admiralität bedrängt hatte, nicht knausrig zu sein und drei Deckoffiziere und sechs Unteroffiziere zur
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