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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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gingen praktisch auf dem Zahnfleisch und waren so schwach, dass Scott und seine Gefährten sie auf die Schlitten luden. Andere mussten getötet werden oder fielen einfach tot um. Scott fand es entsetzlich und überließ das Töten wieder Wilson und Shackleton. Als schließlich einer seiner Lieblinge, Kid, zusammenbrach, schrieb er: »Er hat die ganze Zeit wie ein Pferd gezogen, und sein starkes kleines Herz hielt ihn aufrecht, bis seine Beine unter ihm versagten.« Er war den Tränen nahe. Offensichtlich konnten sie nicht mehr erwarten, dass die überlebenden Hunde die Schlitten zogen, und sie banden sie los. Zum ersten Mal konnten sie sich ungehindert unterhalten und mussten die Hunde nicht mehr anschreien. Sie waren auch erleichtert, von der moralischen Bürde, widerwillige, erschöpfte Tiere anzutreiben, befreit zu sein, auch wenn dies bedeutete, dass sie die Schlitten selber ziehen mussten – eine Aussicht, die Forschern wie Amundsen aberwitzig erschienen wäre, die aber auf Scott und Shackleton einen tiefen Eindruck machte.
    Während sie weiter zogen, fing die Situation vielleicht wirklich an, ein wenig aberwitzig zu erscheinen. Das Wetter war milder und der Schnee so nass und schwer geworden, dass er an den Kufen festklebte und die Männer ins Schwitzen brachte, die sich ständig feucht und klamm fühlten. Es gelang ihnen, ihr Depot zu erreichen, und sie belohnten sich mit einem reichlichen hoosh , einem Eintopf, aber da sie alle an Skorbut litten, befanden sie sich in einer jämmerlichen Verfassung, und Shackletons Zustand verschlechterte sich rasch. Sein Zahnfleisch war entzündet; er hatte Atemprobleme und spuckte Blut, doch sie hatten immer noch ungefähr 280 Kilometer vor sich. Scott hörte sich Wilsons Diagnose von Shackletons Zustand aufmerksam an und kam zu dem Schluss, dass nichts anderes übrig blieb, als jeden Gedanken an weitere Forschungsarbeiten aufzugeben, die beiden noch lebenden Hunde zu schlachten und so schnell wie möglich zur Discovery zu gelangen. Diesen sentimentalen Engländern wäre es niemals in den Sinn gekommen, die Hunde aufzuessen, wie dies Amundsen tun sollte. Hätten sie das getan, hätten sie ihren Skorbut gelindert. Aber der Tod der Hunde löste bei Scott in seinem geschwächten und erregten Zustand vielmehr tiefe Betroffenheit aus: »Dies war die aller traurigste Szene; ich glaube, uns war allen zum Weinen zumute. Und das ist also der letzte aus unserem Hundegespann, das Ende einer tragischen Geschichte; ich mag es kaum niederschreiben.« Die Hunde waren wie persönliche Freunde geworden. Als die Forscher schließlich zum Schiff zurückkehrten, sollte wegen ihres tapferen Einsatzes im Interesse der Wissenschaft ein Toast auf die Hunde ausgebracht werden.
    Scott und Wilson zogen jetzt die Schlitten, von denen jeder über 115 Kilogramm schwer war, während Shackleton neben ihnen her taumelte. Wilson beschrieb, wie schwierig es war, ihn die Dinge ruhig angehen zu lassen. Eine Änderung der Kost mit mehr getrocknetem Seehundfleisch und ohne Speck schien bei der Bekämpfung des Skorbut hilfreich zu sein, aber Shackleton blieb ein schwerkranker Mann. Einmal saß er auch auf dem Schlitten. Es ging in flottem Tempo voran, und seine Aufgabe bestand darin, auf Abhängen mit seinem Skistock zu bremsen. Später sollte es zu Unstimmigkeiten zwischen Shackleton und Scott über die Frage kommen, ob er auf dem Schlitten fuhr, weil er schwach war oder weil er nur als Bremser fungieren sollte. Aber jedenfalls zollte Scott seinem »außergewöhnlichen Mut und Durchhaltevermögen« öffentlich Tribut. 10
    Sie zogen, so gut sie konnten, wobei Scott und Wilson die Hauptlast trugen und in der ganzen Misere ihre Beziehung festigten. Wilsons heroische Bemühungen bestätigten Scott in seiner Meinung, dass das Reisen mit Schlitten »ein sicherer Test für den Charakter eines Mannes« sei. Wilson schilderte, wie er und Scott über jedes denkbare Thema diskutierten, und erinnerte sich, dass »er in der Tat hochinteressant erzählen konnte, wenn er einmal loslegte« – ein Hinweis sowohl auf Scotts Verschlossenheit als auch auf die immer intensiver werdende Verbindung zwischen den beiden. Es ist auch bemerkenswert, dass Wilson es irgendwann für notwendig hielt, etwas »mit Scott auszudiskutieren«. 11 Worüber sie stritten und warum, ist nicht klar, doch falls Wilson Scotts Schwächen – seine Wutausbrüche, sein manchmal autokratisches Benehmen und sein Verhalten gegenüber Shackleton – ansprach,

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