In den eisigen Tod
Industriellen William Beardmore, versprochen hatte, von Scotts früherer Basis zu starten. Eine Änderung des Plans hätte nach üblen Machenschaften gerochen.
Doch in seiner Rolle als Vermittler gab Wilson ihm resolut zu verstehen, dass Scott einen älteren Anspruch habe. Shackleton hörte auf seinen sanftmütigen Freund und akzeptierte dies als force majeure . Im März telegraphierte er Scott, dass er bezüglich des Stützpunktes seine Wünsche erfüllen werde. Im Mai traf er auf Wilsons Betreiben mit seinem früheren Vorgesetzten zusammen und entwarf ein Memorandum, in dem er auf die Benutzung des McMurdo Sound verzichtete.
Seit den Tagen der Discovery -Expedition, als ein freundlicher Scott versucht hatte, »Shackles«, seinen früheren Begleiter auf der Schlittenreise, mit Sardinen in Versuchung zu führen, und seit ihrer Kameraderie nach Scotts Rückkehr hatte sich in ihrer Beziehung eine tiefgreifende Veränderung vollzogen. Scott betrachtete Shackleton jetzt mit einem Misstrauen, das an Verachtung grenzte. Shackleton seinerseits hatte sich sehr verletzt gefühlt durch die Darstellung in The Voyage of the ›Discovery‹ , der zufolge er auf dem Schlitten gezogen werden musste, und wegen dieser ganzen Sache hegte er einen bitteren Groll gegen Scott.
Da plötzlich soviel auf dem Spiel stand, mussten die Belastung und die Spannung für Scott unerträglich groß geworden sein. Er tröstete sich mit dem sicheren Bewusstsein, dass Wilson ihn begleiten würde. Im März hatte der Arzt sein Angebot bereitwillig und erfreut angenommen und hinzugefügt, dass seine Frau Oriana hundertprozentig hinter ihm stehe. Doch im Juli musste Scott den Abschied erdulden, der für Shackleton inszeniert wurde, als dieser an Bord des heruntergekommenen alten Walfängers Nimrod in See stach und ein Kraftfahrzeug mit auf die Reise nahm – er war in der Tat der erste Mensch, der in Antarktika mit einem Auto an Land ging – sowie zwei Seeleute von der Discovery -Expedition: Frank Wild und Ernest Joyce. Immerhin stellte der eifersüchtige Scott mit Genugtuung fest, dass von den Offizieren der Discovery keiner an diesem Unternehmen beteiligt war.
Doch das Jahr 1907 hielt für Scott noch einiges bereit, und es erwarteten ihn noch weitere traumatische Erlebnisse, weil er jetzt verliebt war. Die Frau, die sein Herz erobert hatte, war auf den ersten Blick das Gegenteil von Scott und stellte seine Mittelklasse-Ideale in Frage. Sie war eine Künstlerin, ein Freigeist und ein furchtloser Mensch. Scott erkannte, dass hier endlich jemand war, dem er seine Zweifel und Ziele offenbaren konnte. Doch mit der Aussicht zu heiraten traten auch seine Unsicherheiten in den Vordergrund. Er hatte den Mut zum Polarforscher, aber konnte er die Herausforderung einer Ehe mit einer so unkonventionellen Frau annehmen?
Kapitel 8
Kapitän Scott im Hafen der Ehe
Auf den ersten Blick war Kathleen Bruce eine ungewöhnliche Partnerin für Scott. Als Künstlerin und Kosmopolitin hatte sie eine Begabung, Dinge unversehrt zu überstehen, die weniger starke Frauen zugrunde gerichtet hätten – angefangen bei Vergnügungsreisen mit Isadora Duncan, die sie quer durch Europa führten, über Zeltlager auf den thymianbedeckten Hängen des Hymettos bis zu mitternächtlichen Überraschungsbesuchen bei der Entbindungsschwester in Chelsea und abgeklapperten Nachtasylen und Opiumhöhlen im Londoner East End. Auch als Bildhauerin besaß sie beachtliches Talent.
Scott begegnete ihr zum ersten Mal auf einer Mittagsgesellschaft von Schauspielern und Künstlern im Dezember 1906. Scott genoss diese Ausflüge in die Welt der Bohème. Die anscheinend völlig ungebundene Existenz wirkte anziehend auf einen Mann, der sich seit jungen Jahren mit der Bürde familiärer Pflichten abgemüht hatte und dessen Laufbahn vollkommen von der Marine diktiert wurde. Irgend etwas an Scott erregte Kathleens Aufmerksamkeit. Wie sie später schrieb: »Er war nicht sehr jung, vielleicht 40, und auch nicht sehr gutaussehend, aber er wirkte sehr gesund und wachsam, und ich strahlte ziemlich albern, und plötzlich sah ich deutlich, dass er seine Nachbarin fragte, wer ich sei.« Sie wurde ihm nach dem Mittagessen vorgestellt, und er fragte sie, wie sie zu ihrer »wunderbaren Sonnenbräune« gekommen sei. Sie sagte ihm, sie sei »durch Griechenland vagabundiert, und er meinte, es müsse zauberhaft sein, so umher zu vagabundieren«.
Dabei blieb es vorläufig, denn Kathleen musste gehen, um noch einen Zug zu
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