In den Faengen der Nacht
viele Dinge sie gern geändert hätte. Wie viele Sachen sie hätte sagen wollen, die sie nun nicht mehr sagen konnte.
Sie sah zu, wie Ravyn sich neben Jack auf den Boden setzte. Die beiden saßen Schulter an Schulter, und die Ärztin zog sich zurück.
Ravyn seufzte müde. »Weißt du, was ich an meiner Mutter am meisten vermisse? Sie hat abends am Feuer beim Stricken immer gesungen.«
Jack sah stirnrunzelnd auf. »Deine Mutter hat nicht gestrickt. Sie war eine Were.«
»Ja, ich weiß. Es war ein merkwürdiges Hobby für sie, aber sie hat es geliebt. Sie hat alles Mögliche gestrickt, aber ihre Handschuhe hatte ich am liebsten. Wenn ich die getragen habe, habe ich sie gespürt, ihren Geruch. Aus irgendeinem Grund verlor ich immer wieder einen davon. Also strickte sie ein neues Gegenstück zu dem, den ich noch hatte, küsste ihn, zog ihn mir an und sagte: ›Mein armes kleines Kätzchen sollte besser auf seine Handschuhe aufpassen, sonst muss ich es häuten.‹ Ich lachte und nahm die Handschuhe und hab jedes Mal wieder einen von ihnen verloren.«
»Meine Mom hat gern gelesen«, flüsterte Jack. »Als ich kleiner war, hab ich sie bei einem Buchclub eingeschrieben, wo man einen ganzen Haufen Bücher umsonst bekam. Ich wusste aber nicht, dass man Gebühren dafür zahlen musste. Sie tat so begeistert, aber ich fühlte mich wie der letzte Arsch, als mir meine Schwester Bryanna sagte, dass Mom die Bücher bezahlen musste. Also habe ich mich bei Erika verdingt und ihr zwei Monate lang die Schulbücher nach Hause getragen, damit ich Mom das Geld wiedergeben konnte.«
Ravyn sah ihn fassungslos an. »Und das hast du überlebt?«
Jack lächelte schwach. »Ich möchte es mal so sagen: Ich habe mir jeden Cent hart verdient.« Er schniefte und schaute hoch zu Ravyn. »Hört der Schmerz jemals auf?«
Ravyn starrte auf den Boden, und in seinem dunklen Blick lag reine Qual. »Eigentlich nicht. Ein Teil von dir wird sie immer vermissen. Du siehst irgendetwas, das dich an sie erinnert, du willst es ihr erzählen und merkst, dass sie nicht mehr da ist. Dann wird dir der Verlust wieder deutlich.«
Eine Träne rollte Jack über die Wange. »Du hilfst mir nicht, Ravyn.«
»Ich weiß, Kumpel.« Er sah ihn an, und sie tauschten einen ernsten Blick aus. »Aber irgendwann wirst du mit dir selbst Frieden schließen, und das ist das Wichtigste. Irgendwann wirst du sogar wieder lächeln können, wenn du an sie denkst.«
Jack wischte sich die Tränen ab und holte zitternd Atem. »Danke, dass du mit mir gesprochen hast.«
»Keine Ursache. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man in der Trauer alleingelassen wird. Wenn du mit mir sprechen willst, weißt du, wo du mich finden kannst.«
»Im Keller.«
Ravyn nickte. »Kommst du jetzt zurecht?«
»Ja. Tad und Jessica kümmern sich um alles. Ich muss nur Bryanna abholen, wenn sie in ein paar Stunden hier ankommt.«
Ravyn tätschelte seinen Arm, dann stand er auf und merkte, dass Susan noch immer dastand und ihnen zusah. Er ging an ihr vorbei und die Stufen hinunter.
Susan stand einen Augenblick da, völlig überwältigt von der Zärtlichkeit, die sie für ihn empfand. Sie begriff, wie leicht es sein würde, sich in Ravyn zu verlieben. Ein winziger Teil von ihr war schon so weit. Die meisten Männer, die so herzlos behandelt worden waren, hätten kein Mitgefühl für andere aufgebracht.
Und dann begriff sie noch etwas anderes. Und zwar den Grund, weshalb Ravyn Erika tolerierte. Sie machte ihn vielleicht wahnsinnig, aber in seinen Augen kam sie dem am nächsten, was für ihn Familie bedeutete.
Susan fühlte sich merkwürdig rührselig und folgte ihm in den Keller, wo er mit Jimmys Notizen beschäftigt war. Er stand mit dem Rücken zu ihr, und das Licht fiel auf sein Haar. Susan schloss die Augen und atmete seinen warmen Duft ein. Sie musste ihm einfach nahe sein. Sie durchquerte den Raum und drückte sich an seinen Rücken, dann schlang sie die Arme um seine Taille.
Ravyn erzitterte unter der Welle von Zärtlichkeit, die ihn überspülte. Er war völlig aufgewühlt: Wut und Hass über den Tod von Belle; Schmerz und Mitgefühl für Jack; und etwas, das er noch nicht einmal ansatzweise begriff, für Susan.
Er drehte sich in ihren Armen um, küsste sie, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände, während er jeden Zentimeter ihres dekadenten Mundes erkundete. Sie schmeckte wie Honig und Himmel.
Susans riss Ravyn das Hemd regelrecht vom Rücken. Sie wusste nicht, warum, aber sie musste ihn
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