In den Faengen der Nacht
Sie stockte, als sie darüber nachdachte, was sie eigentlich sagen wollte. »Tja, also eigentlich ziemlich beschissen, um ehrlich zu sein, aber es hat wenigstens keiner versucht, mich umzubringen, und es ist niemand in meiner Nähe gestorben. Seit ich dich getroffen habe, bin ich mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung große Scheiße unterwegs, und es ist nirgends eine Ausfahrt in Sicht. Meine besten Freunde sind tot. Ich habe gesehen, wie du insgesamt fünf Leute …«
»Vier«, unterbrach er sie. »Du hast den ausgelassen, dem du mit dem Schläger den Schädel gespalten hast.«
Musste er sie daran erinnern? »Und warum musste ich draufhauen wie ein Profibaseballer, hm? Weil ich dumm genug war, eine streunende Katze mit nach Hause zu nehmen. Jetzt habe ich zweiundachtzig Dollar gezahlt, um dich aus dem Tierheim mitzunehmen, mein Haus ist verwüstet, mein Auto sieht aus wie ein Schweizer Käse, und ich schulde meiner Nachbarin wer weiß wie viel für den kleinen Zaun, den sie um ihr Petunienbeet aufgestellt hat. Danke, gestiefelter Kater. Vielen herzlichen Dank.«
Er sah sie angewidert an. »Ich kann es einfach nicht fassen, dass du in einer solchen Zeit an Geld denkst.«
»Woran soll ich denn sonst denken?«, fragte Susan mit bebender Stimme. »Vielleicht daran, dass die beiden Menschen, die mir auf der Welt am meisten bedeutet haben, tot sind und ich nicht einmal zu ihrer Beerdigung gehen kann, weil alle Welt denkt, ich hätte sie umgebracht?«
Sie biss die Zähne zusammen, als Trauer und Frustration sie überwältigten. »Wenn ich doch bloß auf Jimmy gehört und die beiden dort rausgebracht hätte, dann wären sie jetzt noch am Leben! Ich hätte sie nicht alleinlassen dürfen. Sie sind tot, und das ist alles meine Schuld … Ja, damit möchte ich mich wirklich gern befassen.« Sie kämpfte die Tränen zurück, die ihr in die Augen traten. Sie durfte jetzt nicht an Angie und Jimmy denken. Nicht wenn sie weiterhin funktionieren wollte. Dieser Schmerz war einfach zu tief und zu heftig, als dass sie damit hätte umgehen können.
Sie konnte in seinen Augen Mitgefühl sehen, als er seine warme schwielige Hand an ihre Wange legte. »Schau, es tut mir wirklich leid, was mit ihnen geschehen ist. Aber du bist nicht verantwortlich dafür. Verstehst du? Sie sind tot, weil Jimmy die Geschichte mit den Daimons herausgefunden hat und so dumm war zu denken, er könnte vor ihnen fliehen. Glaub mir, er wäre nicht weit gekommen, sie hätten ihn sowieso gefunden und getötet. Mit dem, was er über sie wusste, war er gewissermaßen schon todgeweiht, bevor du ihn überhaupt getroffen hast.«
Sie sah ihn finster an. »Wenn das hier ein Versuch sein soll, dass ich mich besser fühle, dann funktioniert er nicht.«
»Ich weiß.« Und an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass er es wirklich so meinte, wie er es sagte, während er mit dem Daumen über ihre Wange strich. »Du hast heute einen riesengroßen Schock bekommen.« Sie konnte in seinen Augen Respekt erkennen und etwas anderes, das sie nicht einordnen konnte. »Du hättest alles Recht darauf, jeden Augenblick einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, aber du musst mir glauben, wenn ich sage, dass du dir nur einen kurzen Zusammenbruch leisten kannst. Du steckst bis zum Hals in der Sache drin und hast noch einen weiten Weg vor dir.«
»Was soll das bedeuten?«
»Du bist daran gewöhnt, dass du es mit Menschen zu tun hast, die nicht über besondere Fähigkeiten verfügen. Tja, Baby, die Welt, wie du sie bisher kanntest, ist gerade sehr hässlich geworden. Du bist mitten in einen Krieg hineingestolpert, von dem eure Art eigentlich gar nicht wissen sollte, dass er überhaupt stattfindet. Vergiss alles, was du je über Physik und Wissenschaften gewusst hast, und stell dir eine Welt vor, in der die Menschheit nichts weiter ist als Futter für ein Volk, das euch Menschen unterwerfen will.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Vampire.«
Er öffnete den Mund und ließ seine Fangzähne sehen. »Wenn du diese Nacht überleben willst, dann solltest du jetzt anfangen, daran zu glauben.«
Susan wollte sich vorbeugen und seine Zähne berühren, nur um sicherzugehen, dass sie echt waren, aber sie kannte die Wahrheit. Sie hatte schon gesehen, wie er sie benutzt hatte. »Was bist du? In Wirklichkeit? Du hast gesagt, ein Dark-Hunter. Was ist das?«
Ravyn zögerte. Er hatte dreihundert Jahre als Dark-Hunter gelebt und einen Eid abgelegt, dass er niemandem außerhalb
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