In den Faengen der Nacht
sie anders?«
»Wenn du dein Handbuch liest und es als Informationsquelle benutzt und nicht als Türstopper, dann erfährst du, dass sie im Dunklen besonders gut sehen, weil sie nachts jagen. Ihre Pupillen sind immer erweitert, sodass helles Licht für sie schmerzhaft ist. Deshalb tragen viele von ihnen sogar in geschlossenen Räumen eine Sonnenbrille.«
Susan verstaute diese Information irgendwo hinten in ihrem Gedächtnis, falls sie je in die Lage kommen sollte, einen von ihnen blenden zu müssen. Sie klickte die Profile der Dark-Hunter an und stockte, als sie den Namen Ravy Kontis sah. Sie konnte einfach nicht widerstehen. Sie klickte darauf und las rasch, was dort über ihn stand.
Es war tatsächlich sehr faszinierend. Er war im antiken Griechenland zur Welt gekommen, im Jahre 304 vor Christus, um genau zu sein. Verdammt, so ein alter Kerl. Sie hoffte, dass sie in zweitausend Jahren auch noch so gut aussehen würde.
Doch irgendwie bezweifelte sie es.
Aber während sie las, begriff sie, dass Were-Hunter, die Art, die ihre Gestalt verändern konnte, keine normale Lebensspanne hatten. Sie lebten Hunderte von Jahren – und anders als Menschen mussten sie diese Jahre nicht chronologisch leben. Sie konnten durch die Zeit reisen.
Das war sehr eindrucksvoll, doch gleichzeitig brachte es eine wichtige Frage mit sich: »Lebt Ravyns Familie noch?«
Kyl hörte auf zu tippen. »Technisch gesprochen ja, aber nein, eigentlich nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Ravyn ist ein Were-Hunter. Das sind Cousins der Apolliten und der Daimons, die von den Dark-Huntern gejagt werden. Weil sie aus derselben Linie stammen, unterhalten viele Were-Hunter Sanctuarys, die die Daimons vor den Dark-Huntern schützen. Deshalb wurde Ravyn angeprangert, als er ein Dark-Hunter geworden ist. Er darf keinem seiner Angehörigen in irgendeiner Gestalt zu nahe kommen.«
Susans Herz zog sich zusammen. Weil ihr eigener Vater ihr den Rücken zugekehrt hatte, konnte sie den Schmerz der Zurückweisung voll nachempfinden. Aber sie hatte ihren Vater wenigstens nie kennengelernt. Wie viel schlimmer wäre es, jemanden zu haben, den man liebte und der einen dann hinauswarf?
»Sie sind hier in Seattle. Seinem Vater gehört eines der Sanctuarys, nur ein paar Häuserblocks von hier.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Und keiner von denen redet je mit ihm?«
Er lachte eigentümlich »Nein.« Er zog das Wort bedeutungsvoll in die Länge. »Sie dürfen noch nicht einmal seinen Namen in den Mund nehmen. Für sie ist er tot.«
»Warum ist er dann ein Dark-Hunter geworden?«
Kyl zuckte die Achseln. »Da musst du ihn schon selber fragen.«
»Du, Kyl?«
Beide drehten sich um und sahen zur Tür, wo Jack aufgetaucht war. »Hast du irgendwas von Brian gehört?«
»Nein, warum?«
»Wir haben ihn rübergeschickt, um nach Cael zu sehen, aber er ist noch nicht zurück und geht auch nicht ans Handy.«
Kyl machte ein finsteres Gesicht. »Das ist eigenartig.«
Jack stimmte ihm zu. »Das finden wir auch, und es ist schon dämmrig. Sollen wir ihm jemanden nachschicken?«
Kyl zögerte. »Ist die Sonne schon untergegangen?«
»Vor zehn Minuten.«
Er fluchte.
Susan war von seiner Feindseligkeit verblüfft. »Ist das schlecht?«
Beide Männer sahen sie fassungslos an. Aber Kyl antwortete: »Nur ein kleines bisschen. Bei Sonnenuntergang dürfen die Daimons herumstreichen.« Er seufzte müde. »Mensch, manchmal vermisse ich meine Heimat so richtig.«
»Heimat?«, fragte sie.
»New Orleans. Da unten sind die Daimons viel entspannter und nehmen sich Zeit, ehe sie auf die Jagd gehen. Hier oben sind sie viel zu koffeingeschwängert. Sobald die Sonne untergeht, stürmen sie los und wollen ihre Party.« Er sah Jack an. »Wie viele von den Blutriten-Leuten sind im Moment hier?«
»Du und Leo. Otto ist bald zurück, und Jessica kommt etwas später dazu.«
Kyl strich sich übers Kinn und dachte nach. »Sag mir sofort Bescheid, wenn Otto da ist, dann gehen wir los und suchen Brian.«
Etwas in seinem Benehmen irritierte sie. Er hatte Angst und versuchte mit allen Mitteln, es nicht zu zeigen. Nachdem Jack gegangen war, stand sie auf und ging zu Kyl hinüber. »Was hast du gerade nicht gesagt?«
Sein Gesicht wurde unbewegt und kalt. »Nichts.«
Na klar . Susan neigte den Kopf und nahm ihn ins Visier. »Kyl, schau mich an. Es ist kein Quatsch. Ich war mal eine der besten Reporterinnen in diesem Land, und wenn ich mich mit einer Sache auskenne, dann ist es Körpersprache.
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