In den Fesseln des Wikingers
der Höhle, wachte häufig auf und wurde von wilden Träumen geplagt. Immer wieder tauchte ein Wolf darin auf, mal war er ganz weiß, dann wieder war sein Fell grau mit gelber Zeichnung. Auch sah sie Tiere miteinander kämpfen, ein Eber stürzte sich auf einen Hirsch, ein Greif schlug seine Klauen in ein gehörntes Pferd, und eine Schlange umwand einen Vogel. Ein Bär hielt den Wolf in seinen Pranken, der sich in die Kehle des Bären verbissen hatte.
Am Morgen hörte sie das leise Murmeln der Quelle, doch die Stimme ihrer Göttin mischte sich nicht darunter, Sirona wollte ihr das Geheimnis um ihre Eltern nicht offenbaren. Sie öffnete die Vorratskammer, fand sie noch zur Hälfte gefüllt und packte Gerste, getrocknete Beeren und Honig als Wegzehrung zusammen. Dann nahm sie eine der Decken um die Schultern und wollte schon davongehen, als ein kleiner Lichtblitz ihre Augen traf. Das Amulett lag immer noch auf dem Stein, und das blanke Gold glänzte in der Morgensonne. Sie zögerte, wehrte sich innerlich dagegen, diesen Schmuck an sich zu nehmen. Doch schließlich hob sie ihn auf, wog ihn unschlüssig in der Hand und entschied sich, das Amulett um den Hals zu hängen. Allerdings schob sie es unter das Gewand, es brauchte ja nicht jeder, dem sie zufällig begegnete, gleich zu sehen, dass sie goldenen Schmuck besaß.
Die Göttin schien ihren Rückweg zu Thore nicht zu segnen, denn kaum war sie aufgebrochen, da begann es kräftig zu regnen. Kein Fuhrmann zeigte sich, einsam wanderte sie durch Wald und Grasland, hüllte sich fest in die Decke und versuchte hie und da Schutz unter einem Baum oder einem überstehenden Fels zu finden. Am zweiten Tag fegte ein wütender Sturm über das Land, Äste brachen von den Bäumen, Stämme neigten sich bedrohlich, und sie floh zum Meer hinunter, wo die Flut dunkle, schäumende Wellen gegen den Strand trieb.
Als sie am Vormittag des vierten Tages endlich die hölzerne Festung der Wikinger zwischen den kahlen Bäumen erblickte, war sie in dem klatschnassen Gewand halb erfroren, und es schwindelte ihr vor Hunger. Die Palisadenwand war vollendet, es gab sogar ein solide aussehendes Tor, das allerdings geschlossen war. Um die Festung herum war der Boden zertrampelt, verkohlte Äste lagen herum, schmale Stämme, in die man Kerben geschlagen hatte, als wolle man sie wie eine Leiter gebrauchen, irgendwo blinkte ein Stückchen Metall, das die Form einer Lanzenspitze hatte.
Sie stutzte und wollte sich vorsichtshalber hinter einer Eiche verbergen, da entdeckte sie einen Pfeil, der im Holz des Eichenstammes steckte. Es war keiner der Pfeile, die die Wikinger benutzten, denn er war aus schwarzem, glatt geschliffenem Holz gemacht und trug an seinem Ende kurze, gesprenkelte Federn.
Während sie noch voller Entsetzen auf das schmale Holz starrte, ertönte plötzlich ein lauter Ruf aus dem Inneren der Festung.
„Die Druidin!“
Jetzt erst bemerkte sie, dass sich oben hinter den angespitzten Enden der Palisadenstämme Wächter verbargen. Auf die Nachricht des Wächters hin waren Stimmen zu hören, Aufregung war im Inneren der Festung entstanden, man stritt zornig miteinander.
„Das ist eine List!“
„Wilhelm hat sie geschickt, um uns in die Falle zu locken.!
Dann ging plötzlich alles rasend schnell. Das Tor wurde einen Spalt aufgeschoben, drei Männer erschienen, einer von ihnen war Thore.
„Bleibt zurück!“, befahl er den beiden.
Er rannte mit raschen, weiten Sprüngen auf sie zu, als jage er ein Wild, das er nicht entkommen lassen wollte. Erschrocken wich sie zurück, doch da war er schon bei ihr, packte sie um die Körpermitte und warf sie sich mit festem Schwung über die Schulter. Ohne auf ihr erschrockenes Schreien zu achten, trug er sie in eiligem Lauf zur Festung hinüber. Das Tor schlug knarrend hinter ihnen zu, ein schwerer Riegel rastete ein. Dann stand sie wieder auf den Füßen, strich sich verwirrt das lange Haar aus dem Gesicht und begriff nicht, was mit ihr geschehen war.
„Das Weib hat dir deinen Kopf verdunkelt!“
„Du hättest gut und gern drei Pfeile im Rücken haben können!“
„Und etliche Speere im Bauch!“
„Wer für ein untreues Weib sein Leben einsetzt, dem ist nicht mehr zu helfen!“
Thore achtete nicht auf die Reden seiner Kameraden. Er atmete hastig von dem raschen Lauf, doch seine Züge schienen versteinert, und der Blick, mit dem er Rodena anstarrte, war kalt.
„Geh dort hinein.“
Er wies mit der Hand zu dem langen Holzbau hinüber, der
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