In den Fesseln des Wikingers
wurde Fleisch gebraten, und auf den heißen Steinen dünstete der Fisch. Hungrig machten sich die Männer über die Mahlzeit her, unterhielten sich vergnügt, prahlten mit jüngst begangenen Heldentaten und redeten davon, den Bauern ein paar Weiber abzuhandeln.
Thore saß schweigsam dabei, aß nur wenig, und sein Blick wanderte immer wieder zu der Lücke in der Palisadenwand, in die morgen das Tor eingepasst werden sollte. Ein Wächter hütete den ungeschützten Eingang, und Thore hoffte immer noch, den überraschten Ruf zu hören, mit dem der Mann Rodenas Rückkehr meldete. Doch nichts geschah.
Als die meisten sich schon einen Schlafplatz gesucht hatten, blieb Thore immer noch am Feuer sitzen und starrte in die erlöschenden Flammen. Halvdan, der ebenfalls sehr schweigsam geblieben war, setzte sich an seine Seite, denn er hatte Lust zu reden.
„Taugen alle nichts, die Weiber. Sind sie schön, dann können sie nicht treu sein, sind sie aber treu, dann bringen sie dich mit ihrem Gezeter zur Verzweiflung.“
Thore gab keine Antwort, also fuhr Halvdan fort.
„So sind sie alle, ob Fränkinnen oder Engländerinnen, auch die Weiber aus Irland sind nicht anders. Wer reich ist und es sich leisten kann, der ist klug, wenn er sich hübsche Sklavinnen hält, die kann er verkaufen, wenn er die Lust an ihnen verliert.“
Thore tat einen tiefen Atemzug, denn Halvdans Gerede ging ihm heftig auf die Nerven.
„Denkst du an Papia?“, fragte er. „Dann vergiss nicht, dass sie Ubbe liebt und ihm treu ist.“
„So treu, dass sie seinetwegen in den sicheren Tod rennt.“
„Täte sie es deinetwegen, würdest du sie loben.“
Halvdan hob missmutig den Kopf, denn Thores Rede war leider wahr. „Und deine schöne Druidin?“, entgegnete er boshaft. „Will sie sich auch aus lauter Liebe und Treue in den Tod stürzen? Oder hat sie sich einfach nur davongeschlichen, weil irgendwo ein anderer auf sie wartet?“
Eine unbändige Wut schoss in Thore empor, er fuhr auf, packte das Lästermaul beim Gewand und stieß ihn so fest vor die Brust, dass Halvdan rücklings auf den Boden kippte und die Beine in die Luft warf.
In diesem Augenblick ertönte der halblaute Ruf des Wächters, und Thore, der schon die Faust gehoben hatte, um Halvdans zornigen Gegenangriff abzufangen, ließ rasch von ihm ab.
„Was ist?“
Sein Herz klopfte heftig – ganz gleich, wo sie gewesen war und was sie getan hatte – wenn sie jetzt wiederkam, würde er ihr keine Vorwürfe machen. Er würde sie nur in die Arme nehmen und das Glück genießen, sie wieder bei sich zu haben.
Doch es war nicht Rodena, die zurückkehrte, sondern einer der Späher. Er blutete aus mehreren Wunden und hatte sich nur mit seinen letzten Kräften zur Festung zurückgeschleppt. Kaum hatte er den Innenbereich der Palisaden erreicht, da brach er zusammen.
Thore flößte ihm Wasser ein, andere untersuchten seine Wunden und versuchten, das Blut zu stillen.
„Sie kommen vom Süden“, flüsterte er, kaum mehr seiner Stimme mächtig. „Wilhelm hat Kämpfer aus dem ganzen Land gesammelt. Ich fiel in ihre Hände, doch ich konnte fliehen ... Die anderen Späher haben sie niedergemacht ...“
5. Kapitel:
Wolf und Bär
Rodena hatte das Amulett noch nie in ihrem Leben gesehen. Woher stammte es? Wer hatte es hier verloren? Oder hatte es jemand mit Bedacht hierhergelegt, damit sie es finden würde?
Sie legte es wieder auf den Stein zurück und durchsuchte noch einmal die Höhle, in der sie mit Kira so lange Zeit gelebt hatte. Nichts deutete darauf hin, dass man die Behausung durchwühlt und zerstört hatte – zwar fehlten Kiras Decke, ihre Gewänder und viele der Salben und Tinkturen, doch Tontöpfe und Krüge waren heil und auch die Kräuterbündel, die an der Decke getrocknet wurden, hingen noch an ihrem Ort.
Kira war fortgegangen, vielleicht war sie aufgebrochen, um ihre Tochter zu suchen. Hatte Kira etwa das Amulett auf den Stein gelegt? Wenn ja – wer hatte es ihr gegeben, und weshalb hatte sie es all die Jahre vor ihrer Tochter verborgen? War es der Beweis dafür, dass ihre Ahnung Wahrheit war? Hatte Kira all die Jahre niemals gewagt, ihr den Namen ihres Vaters zu nennen, weil er ein Feind war, der sie mit Gewalt genommen und ihr nach dem Leben getrachtet hatte? Aber wozu gab er ihr dann dieses Amulett? Bedeutete ein solches Geschenk nicht, dass er sie geliebt hatte? Ach, weshalb war Kira nicht hier, um dieses Rätsel aufzulösen?
Sie verbrachte eine unruhige Nacht im Schutz
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