In den Haenden des Eroberers
Schritt zurück. „Das Bett ist zum Schlafen weit besser geeignet, meint Ihr nicht auch?“
Fayth rieb sich die Augen, um den Schlaf zu vertreiben. Sie hatte stundenlang gewartet. Zunächst war sie in der Kammer auf- und abgegangen und hatte sich dann gesetzt und für all jene gebetet, die im Kampf um Taerford gefallen oder unschuldig in Gefangenschaft geraten waren. Als sie sich nicht länger aufs Gebet hatte konzentrieren können, hatte sie nur für einen Moment die Augen geschlossen. An den heruntergebrannten Kerzen erkannte sie, dass sie eingeschlafen sein musste. Sie sah, wie Giles den Rosenkranz in ihren Händen betrachtete, dessen Perlen sie beim Beten durch die Finger gleiten ließ.
„Wacht der gute Vater Henry schon lange über Eure Seele?“, fragte Giles.
„Schon seit vielen Jahren“, erwiderte Fayth, rollte den Rosenkranz zusammen und legte ihn auf den Tisch.
„War er auch Eurem Vater ein Seelsorger oder hat jemand anderes diese Aufgabe verrichtet?“
Dies war das erste Mal, dass Giles sie direkt auf ihren Vater ansprach, und Fayth fragte sich, warum er es tat. Sie versuchte, den Schmerz zu verdrängen, doch der Gedanke, ihren Vater für immer verloren zu haben, zog ihr einmal mehr das Herz zusammen.
„Vater Henry hat Gott gedient, indem er sich um unser aller Seelenheil gekümmert hat, auch um das meines Vaters, Mylord. Man erzählte mir, dass die beiden zusammen aufgewachsen sind und sehr glücklich über den Beschluss des Bischofs waren, uns Vater Henry zu schicken.“
Tränen brannten Fayth in den Augen, als sie an die vergangenen Jahre mit den beiden zurückdachte. Die Kehle wurde ihr eng, und sie schluckte und räusperte sich, bevor sie fortfuhr: „Warum fragt Ihr, Mylord? Habt Ihr Bedarf an einem Geistlichen?“
Giles antwortete nicht sofort. Stattdessen wandte er den Blick ab und begann auf- und abzugehen, so wie Fayth es tat, wenn ihr etwas zu schaffen machte. Schließlich blieb er wenige Schritte von ihr entfernt stehen und nickte. „Ja, ich brauche einen Geistlichen, ebenso wie einen Müller, einen Kerzenmacher, einen Vogt, einen Förster, einen Brauer und einen Harfenspieler – fürs Erste. Und zudem mehr Arbeiter für meine Güter.“
„Einen Harfenspieler? So etwas gab es hier nicht … bevor Ihr kamt.“
Giles lächelte. Es war ein höchst anziehendes Lächeln, bei dem es Fayth warm durchrieselte. „Ich habe das Harfenspiel immer als wohltuend und erbaulich empfunden, Mylady. Wir Bretonen gehören übrigens zu den besten Harfenspielern der Welt.“
Fayth spürte, dass Giles sein eigentliches Anliegen vor sich herschob, und beschloss, ihn direkt zu fragen: „Was ist Euer wahres Begehr, Mylord? Was wünscht Ihr zu wissen?“
Giles straffte die Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich wünsche zu wissen“, setzte er an und verbesserte sich dann: „Was ich gerne wissen würde, ist, wie viele Eurer Leute mit Edmund geflohen sind.“
„Ich bin nicht bereit, jene in Gefahr zu bringen, denen die Flucht gelungen ist, Mylord“, sagte Fayth. Sie warf die schützende Decke ab und erhob sich vom Stuhl. „Ihr erwartet doch nicht im Ernst von mir, dass ich diese Menschen verrate, oder?“
Giles schüttelte den Kopf und winkte ab. „ Non. Nein. Nichts dergleichen sollt Ihr tun, Mylady. Aber wenn wir die Menschen, die geblieben sind, vor weiteren Angriffen und dem kommenden Winter beschützen wollen, dann brauche ich Eure Hilfe, um mir einen Überblick darüber zu verschaffen, wer noch hier ist und wie es um unsere Vorräte steht.“
Es war derselbe Gedanke, der Fayth den ganzen Tag beschäftigt hatte. Dass sie ihn nun aus Giles’ Mund vernahm, ließ sie zusammenzucken. „Meine Hilfe?“
„ Aye. Zunächst einmal muss ich wissen, wen ich mit dem Amt des Verwalters betrauen kann.“
Erstaunt starrte Fayth ihn an. „Ihr würdet jemandem aus Taerford so weit vertrauen?“
„Im angemessenen Rahmen.“ Giles neigte den Kopf zur Seite und beobachtete sie genau. „Diese Person wird eng mit einem meiner Männer zusammenarbeiten, bis ich weiß, ob sie mein Vertrauen verdient hat oder nicht. Vor dem Winter gibt es noch viel zu tun, und ich brauche einen fähigen, intelligenten Mann, der sich um alles Nötige kümmert.“
Der Gedanke, der Fayth in diesem Moment durch den Kopf schoss, war heraus, noch bevor sie nachgedacht hatte: „Muss es denn ein Mann sein?“
In Giles’ Blick sah sie die Überraschung gespiegelt, die sie selbst angesichts ihrer Worte
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