In den Haenden des Eroberers
Frage, deren Antwort ihr entweder Hoffnung auf eine gemeinsame, friedliche Zukunft mit ihrem Gemahl geben oder diese auf immer zerstören würde.
„Habt Ihr meinen Vater getötet, Mylord?“
Giles wusste nicht, was er sagen sollte, aber er wollte Fayth auch nichts vormachen. Zu gerne hätte er ihr eine schöne Lüge aufgetischt, denn ihre Wangen, die noch vor wenigen Stunden vor Lebendigkeit geglüht hatten, waren nun totenbleich. Nicht nur das. Auch ihre Hände waren schneeweiß, so sehr krampfte sie die Finger ineinander.
„Ja, das ist durchaus möglich, Mylady.“ Giles fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wandte den Blick ab, damit sie seine Verzweiflung nicht sah. „Es ist durchaus möglich, dass Euer Vater durch mein Schwert starb.“
Fayth wankte, und Giles trat schnell an ihre Seite und legte stützend den Arm um ihre Hüfte. Sie wollte sich losmachen, doch er hielt sie fest und führte sie in Richtung Wohnturm.
„Brice, ruf alle Männer zusammen, die hoch in Lord Bertrams Gunst standen und Ehrenplätze an seiner Tafel einnahmen.“ Und bevor Brice Fragen stellen konnte, fuhr er fort: „Auch all seine Soldaten, die geblieben sind. Und schick jemanden ins Dorf, der alle zusammentrommelt, die dem alten Lord lehnspflichtig waren. Sie sollen ebenfalls herkommen.“
Er hielt nicht an, während er sprach, sondern brachte Fayth zur Halle. Im Stillen verfluchte er sich dafür, dies nicht schon unmittelbar nach der Einnahme von Taerford geregelt zu haben, aber er hatte es nicht als nötig erachtet. Nun ging ihm auf, dass dieser Schritt längst überfällig war. Er hatte Lady Fayth vor der harten Wirklichkeit des Krieges bewahren wollen, und nun musste er den Schaden zumindest begrenzen, den er mit seiner Entscheidung angerichtet hatte.
Giles betrat den Wohnturm von der Rückseite und schritt zügig zur Halle. Schnell hatte er eine Schar Neugieriger im Schlepptau, die sehen wollten, wohin er mit ihrer Herrin ging. An der großen Tafel in der Halle half er Fayth auf einen Stuhl, kauerte sich vor ihr nieder und hob ihr Kinn mit den Fingern, sodass sie ihn ansehen musste.
„Mylady?“ Fayth hielt die Augen gesenkt. Er fasste ihr Kinn ein wenig fester. „Fayth?“
Dieses Mal sah sie auf. Schmerz und Trauer standen in ihren Augen, und Giles musste sich beherrschen, um nicht seinerseits den Blick abzuwenden.
„Mylady, ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob Euer Vater durch mein Schwert gefallen ist. In einer Schlacht kann man sich nicht immer sicher sein, wen man vor sich hat.“
Tränen traten Fayth in die Augen, und sie blinzelte ein paarmal. „Wollt Ihr mich oder Euch selbst damit trösten, Mylord?“, fragte sie tonlos.
„Weder noch“, erwiderte Giles mit einem Schulterzucken. „Ein Soldat findet sich mit den Gegebenheiten des Krieges ab. Niemand zieht in eine Schlacht, ohne sich bewusst zu machen, dass er töten wird – und dass andere danach trachten, ihn zu töten. Ich habe Euch schlicht die Wahrheit gesagt.“
Inzwischen hatte die Halle sich gefüllt. Giles stand auf und wies Emma an, sich um ihre Herrin zu kümmern. Er sah noch, wie diese Fayth einen Schluck Wein einflößte, dann rief er nach Roger, um ihm zu erklären, was er vorhatte. Roger nahm seine Anweisungen entgegen und ging dann, um seine Männer entsprechend einzuteilen. Und Brice – nun, der stand wie üblich bei Giles, unabhängig davon, ob er dessen Beschlüsse guthieß oder nicht.
Giles nahm von einem der Bediensteten einen Becher Wein entgegen und legte sich im Geiste zurecht, wie er das Volk von Taerford am besten von seinen Plänen würde überzeugen können.
Edmund gab das Signal anzuhalten. Etwas stimmte nicht.
Von ihrer Deckung im Wald aus verfolgten sie, wie die Normannen die Dorfbewohner zusammentrieben und zur Burg brachten. Ihr Handeln wirkte überstürzt, und offensichtlich durfte niemand zurückbleiben. Das sprach nicht gerade dafür, dass der neue Lord gute Absichten hegte.
„Was, glaubst du, hat er vor?“, fragte William, einer der Rebellen.
Edmund beobachtete, wie die Dorfbewohner den Weg zur Burg hinaufgingen. Sie hatten Angst, das sprach aus der Art, wie sie sich bewegten und sich immer wieder umwandten. Würden sie Edmund und seine Männer an die Normannen verraten? Viele der Menschen wussten, dass sie regelmäßig ins Dorf kamen, um sich an den Vorräten zu bedienen, deren Lager Edmund kannte. Die Frage war nur – würden die Dörfler dieses Wissen für sich behalten oder nicht?
Näher ans Dorf
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