In den Haenden des Eroberers
Lippen.
„Ich verlange nicht von Euch, unsere Differenzen einfach zu vergessen, Mylady“, sagte Giles. „Nur um eines bitte ich Euch – lasst uns ein wenig vertrauter miteinander werden, bevor Ihr ein endgültiges Urteil über mich fällt.“
Das war eine merkwürdige Bitte für jemanden, der sich unerbittlich und zielstrebig den Weg zu Burg und Burgherrin freigekämpft hatte, mit der Vollmacht seines Herzogs in der Tasche, sich nach Gutdünken und unbeirrbar zu nehmen, was oder auch wen er wollte.
Und dennoch wandte er sich mit dieser Bitte an sie.
„Einverstanden“, hauchte Fayth.
„Brice brennt darauf, uns an die Arbeit zu scheuchen. Kommt, ich werde Euch ins Dorf bringen, damit Ihr dort Euren Aufgaben nachgehen könnt.“
„Wirklich, Mylord?“ Fayth fragte sich verblüfft, was Lord Giles dazu bewogen haben mochte, ihrem Ansuchen von heute Morgen nun letztlich doch nachzugeben.
„Ihr werdet nur mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis ins Dorf gehen und immer nur in Begleitung von Brice oder Roger. Habt Ihr verstanden?“ Giles sah sie eindringlich an.
„Ja, Mylord.“
Fayth wurde leicht ums Herz bei der Aussicht, der Burg endlich zu entkommen, und sei es nur für kurze Zeit. Sie würde erfahren, wie die umliegenden Gehöfte den Angriff überstanden hatten und wie es den Dorfbewohnern ging, die sie seitdem nicht mehr gesehen hatte. Endlich würde sie sich auch um die Belange der Menschen jenseits der Burgmauern kümmern können.
Giles zog das Portal der Kapelle auf und trat ins Freie. Fayth folgte ihm. Tatsächlich strahlte die Sonne vom Himmel, wie Brice verkündet hatte. Kurz sprach Giles mit seinem Freund, dessen Blick aber auf Fayth ruhte, so als suche er nach Anzeichen dafür, dass ihr ein Leid geschehen war.
Fayth ließ ihren Blick über den Burghof schweifen und stellte fest, dass auch andere sie anstarrten. Selbst Vater Henry, der mit Durwyn neben dem Brunnen stand, sah sie unverhohlen an. Offenbar hatten der Streit in der Halle und ihre Flucht in die Kapelle einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Fayth murmelte eine Entschuldigung in Giles’ Richtung und ging hinüber zu dem Priester.
„Wie geht es Euch, mein Kind?“, fragte dieser und sah sie aufmerksam an, als versuche er, die Antwort an ihrem Gesicht abzulesen. „Habe ich zu Unrecht auf das Wort des neuen Lords vertraut?“
„Nein, Vater, wir haben vieles klären können, das zwischen uns stand“, beruhigte Fayth den Geistlichen. Sie sah sich nach Giles um.
Und Giles sah sie an.
Der Blick, der aus seinen Gedanken keinen Hehl machte, jagte Fayth eine angenehm heiße Woge durch den Körper. Alles in ihr zog sich zusammen bei der Erinnerung an seine Berührung, an die Leidenschaft, die das Spiel seiner Finger ihr entlockt hatte. Trotz der wärmenden Sonne durchrieselte Fayth ein Schauer. Sie verscheuchte die Empfindungen und konzentrierte sich auf die Worte des Gottesmanns.
„Selbst in guten Zeiten ist die Ehe kein leichtes Unterfangen“, setzte dieser an. „Aber es ist nun Eure Pflicht, zu Eurem Gemahl zu stehen und ihm Gehorsam zu leisten. Auch Euer Vater hätte Euch dies geraten.“
„Selbst wenn es sich um einen Feind handelt?“, fragte Fayth. Wie sollte bei einer solchen Verbindung Vertrauen entstehen? Wie ließ sich das mit dem Gewissen vereinbaren?
Vater Henry nahm ihre Hand und sagte sanft: „Viele der normannischen Eroberer halten nicht Wort darin, die Töchter der gefallenen Lords zur Frau zu nehmen. Ich habe gehört, dass etliche dieser jungen Damen …“ Der Priester rang nach Worten. „… benutzt wurden, um dann von ihrem eigenen Land vertrieben zu werden.“ Er tätschelte ihre Hand und lächelte. „Unser Lord dagegen scheint mit den guten wie den harten Seiten des Lebens gleichsam vertraut zu sein, und es sieht so aus, als hege er in unserem Fall nicht den Wunsch, Härte zu zeigen. Es ist nichts Falsches daran, ihn zu unterstützen, mein Kind, und seine Bemühungen anzuerkennen.“
Vater Henrys Worte stimmten Fayth hoffnungsvoll. Sie würde und könnte auch gar nicht vergessen, auf welcher Seite ihr Gemahl in der Schlacht zwischen ihrem und seinem Volk gestanden hatte. Aber es war in der Tat keine Sünde, ihm die Gelegenheit zu geben, seine guten Absichten zu beweisen.
„Mylady?“ Fayth wandte sich zu Giles um, der zu ihnen getreten war. „Ich werde Euch nun ins Dorf geleiten, damit Ihr dort nach dem Rechten schauen könnt. Braucht Ihr noch etwas aus der Burg? Dann eilt Euch.“ Er wandte sich
Weitere Kostenlose Bücher