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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Auswirkungen des Wetters und das Wandern der Schatten bewiesen, dass es sich um Ansichten aus der lebendigen Realwelt handelte.
    Scott und seine Programmierer bei Elysian Systems fühlten sich vom Reiz der Ferne zu den Bildern hingezogen. Außerdem kamen sie in den seltenen Genuss eines offiziell genehmigten Voyeurismus: Sie hatten nur deshalb Zugang zu diesem speziellen Überwachungssystem bekommen, da sie mit der Entwicklung von Software für die Regierung beschäftigt waren – ein Auftrag, der zufällig die einzige echte Einnahmequelle in den Bilanzen des Unternehmens war. Wenn Scott an die vertragliche Verpflichtung dachte, »mit keinem Menschen außerhalb der direkten Arbeitsgruppe« über ihr Projekt zu sprechen, oder wenn er seine sieben Programmierer auffordern musste, zahlreiche Erklärungen der Vertraulichkeit und der Loyalität gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika zu unterschreiben, dann kam er sich einfach albern vor, denn derartige Mahnungen liefen dem rebellischen Programmiererethos seiner Jugend und dem grundsätzlichen Antrieb und Elan seiner frühen Unternehmerjahre diametral entgegen. Das waren die zentralen Widersprüche seines Berufslebens: dass er Antreiber und Organisator eines Projektes war, das seine Phantasie nicht anregte; dass er der Außenseiter in einer profitgetriebenen Unternehmenskultur war, die kaum noch Profit machte. Er war ein Relikt, ein alternder Überlebender des Clans der »robusten« Programmierer, die im Interregnum zwischen der Rechenschieberepoche und der Ära des Ethernet groß geworden waren. Hier schaut kein Mensch zu mir auf, keiner bewundert mich , dachte Scott, abgesehen vielleicht von Charlotte Harris-Hayasaki, einer jungen und bis jetzt noch erfolglosen Computerspieldesignerin, die bei Elysian Systems ebenso fehl am Platz war wie Scott selbst und die ihm oft durch die Scheiben seines Büros verstohlene Blicke zuwarf.
    Die Geschäftsleitung von Elysian Systems bestand aus ernsthaften Männern mittleren Alters und arbeitete in einem anderen Stockwerk, im vierten, als wollten sie sich von der Exzentrik der Programmierer abschirmen. Die Manager trugen Anzug und Krawatte und hängten sich Urkunden an die Wand, die aus ihrer Zeit als Abteilungsleiter bei Reinigungsmittelherstellern oder Brauseabfüllern stammten. Sie hatten Scott, dem »Vizedirektor Programmierung«, diesen Auftrag aufgebürdet, obwohl jeder Informatikstudent im fünften Semester den grundlegenden Code hätte schreiben können. Es ging in dem Auftrag um die »Prüfsoftware« des »Bürgerwachsystems zur Terrorismusbekämpfung«, mit dem die Ministerien für Heimatschutz, Verteidigung und Energie sowie weitere Regierungsstellen den Wachdienst an Kernkraftwerken sowie auf Flughäfen und Militärbasen an Tausende von Amerikanern auslagerten, die zu Hause saßen und auf ihre Computerbildschirme starrten.
    Scotts Programmierauftrag lautete: Sorge dafür, dass die »Bürgerwachen« auch tatsächlich auf ihren Computern die 12 538 Kameras überwachen und nicht bloß Solitär spielen oder Schuhe kaufen. Seine Programme stellten den Leuten – wie den Ratten eines Laborversuchs – sinnlose Aufgaben beim Betrachten der Kamerabilder, beurteilten dann die Lösung dieser Aufgaben und produzierten einen ganzen Wasserfall von Statistiken, der Washington besondere Freude machte. Scott klickte sich durch ein Dutzend weiterer Orte, darunter auch eine Umzäunung in einem Pinienwald in Los Alamos, New Mexico, und machte sich dann wieder an seine eigentliche Arbeit: die Fortschritte seiner Programmierer zu beurteilen, die falsche »Eindringlinge« entwarfen, virtuelle Personen, die an den Zäunen »entlanggingen« und »gruben« oder andere verdächtige Tätigkeiten ausführten. Das sollte die Bürgerwachen aufschrecken und dazu bringen, den Alarmknopf an ihren Computern zu drücken, worauf ein Server bei Elysian Systems einen Eintrag in die Spalte WACHSAM machen konnte. Er probierte »Turbanmann«, das Abbild eines dunklen Typen mit Handtuch um den Kopf, der rannte und sich duckte: Der Schauspieler war sein Hauptprogrammierer Jeremy Zaragoza, und der kurze Film war in einem gemieteten Studio aufgenommen worden, zusammen mit den Clips der »Fernglasfrau« und des »Schaufelmanns«, die alle von verschiedenen Programmierern gespielt wurden. Scott ließ Turbanmann an verschiedenen Zäunen entlanglaufen: Die besondere Herausforderung war, Animationen zu erstellen, die beim Laufen und Schaufeln in den richtigen

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