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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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verschluckt wie Steine, die in einen Teich geplumpst waren.
    Araceli ging zum Zaun am Rand des Hofs und versuchte sich damit anzufreunden, dass keiner der Cowboys mit den metallenen Gürtelschnallen auf sie zukommen und wieder auf die Tanzfläche führen würde. Marisela steht anscheinend nicht besonders auf den kleinen Kerl, und wenn sie mit ihm fertig ist, können wir vielleicht noch einmal tanzen. Im gleichen Augenblick spürte Araceli, wie ihr jemand auf die Schulter tippte. Sie drehte sich um und sah einen Berg aus Haut und Jeans vor sich aufragen: einen Mann in ihrem Alter, aber deutlich größer und auf seinem Kopf ein sexy Schopf feuchtschwarzer Locken. »¿Quieres bailar?« , fragte er. Wo kommst du denn her? , wollte sie fragen, aber dann hob sich wie von allein ihre Hand, um sich von dem Namenlosen auf die Tanzfläche führen zu lassen. Ihr Partner war kräftig gebaut, bewegte sich jedoch geschmeidig und hielt ihre Hand selbstbewusst mit seinen leicht schwieligen, wie dunkle Bronze glänzenden Fingern, die auf Arbeit im Freien schließen ließen. Während sie sich zu den wiederholten Wirbeln der Trompeten und Klarinetten drehten, nahm Araceli den Schwung seiner Hose und die Wellenbewegungen seines Hemdes wahr. So etwas passierte Mädchen wie Marisela dauernd, ihr jedoch nur selten: einen Fremden zu treffen und sich sofort im Gleichklang mit ihm zu bewegen.
    In der Mitte des ersten Liedes beugte er sich beim Tanzen zu ihr hinunter, legte seine Wange an ihre und sagte so laut, dass sie es trotz der Musik hören konnte: »Hey, du tanzt gut!«
    »Weiß ich«, rief sie zurück.
    Die Musik hörte auf. Die Leute um sie herum wischten sich den Schweiß von der Stirn und verließen die Tanzfläche. Ehe Araceli sich auf das unvermeidliche Danke und bis später vorbereiten konnte, hatten die Musiker schon wieder eingesetzt, und der lockige Mann fragte: »¿Otra?«
    »¡Sí!«
    Bei diesem Stück sagte er ihr, dass er Felipe heiße, und nach dem dritten fragte er nach ihrem Namen. Als das vierte Lied zu Ende ging, fragte sie ihn, woher er stamme, nur damit er nicht wegging. »Sonora«, sagte er. »Aus einer kleinen Stadt namens Imuris. In der Nähe von Cananea. ¿Y tú? «
    »Mexiko City.«
    Als klar wurde, dass er nicht weglaufen wollte, fragte sie Felipe, ob er noch jemanden auf dem Fest kannte. Ein paar Leute, sagte er.
    »Ich kenne niemanden.«
    »Schau mal, da drüben«, sagte er. »Das Mädchen ist heute quinceañera .«
    Araceli drehte sich um und sah ein groß gewachsenes junges Mädchen mit mahagonidunkler Haut in einem engen weißen Kleid mit daraufgestickten Perlenmustern. Nicolasa blickte selbstbewusst wie eine junge Frau, die einen Tag lang den nachbarschaftlichen Ruhm genießt, lauschte einem älteren Mann und betrachtete ihn mit klugen, dunklen Augen, die gelegentlich von ihm weg in die Partylandschaft schweiften: zur Menge, zu den Lichterketten, zum großen weißen Schild mit der Aufschrift FELIZ 15 NICA . Ihr schwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt, lange Zöpfe hingen ihr auf die Schultern: die Frisur eines Mädchens, der Körper und das Gesicht einer Frau. Neben ihr stand ein Junge von gleicher Hautfarbe, aber einen Kopf kleiner: offenbar ihr kleiner Bruder. Er wirkte schmal und verletzlich und verströmte die tragische Aura, die seiner Schwester fehlte: Hätte er nicht den schwarzen Anzug angehabt, hätte er auch einer der kleinen Jungen sein können, die in Mexiko City zwischen den Autos umherhuschen und die Hände ausstrecken, um Münzen oder Regentropfen zu fangen. Der große, massige Mann neben ihnen hob gerade seinen Bizeps, um seine Tätowierung vorzuführen – das Porträt eines rauchenden Soldaten mit Stahlhelm, darunter auf einer Schriftrolle die Worte: SERGEANT RAY, R.I.P .
    »Die haben eine Menge durchgemacht«, sagte Felipe.
    »Du kennst also die Geschichte?«
    »Du meinst, wie ihre Mutter gestorben ist und sie adoptiert worden sind und das alles? Ja, klar. Die kennt jeder. Jedenfalls jeder hier im Viertel.«
    »Ich bin nicht von hier.«
    »Ja, ich weiß. Sonst könnte ich mich an dich erinnern«, sagte er ganz natürlich und schlicht, offenbar ohne Hintergedanken.
    »Siehst du den Typen neben ihnen? Der ist vor ein paar Monaten aus dem Krieg zurückgekommen. Er heißt José. Ist ein Cousin der Dame, der dieses Haus gehört.«
    »Und was ist mit dir? Was ist deine Geschichte?«
    »Ich streiche Häuser an. Manchmal übernehme ich auch ein paar Maurerarbeiten. Aber vor allem streiche

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