In den Häusern der Barbaren
jemanden so intim, wie es nur geht, du kannst jahrelang den Geruch und die Eigenheiten von jemandem aufsaugen, aber dann offenbart der Mensch dir plötzlich seine abstoßenden Seiten, gerade wenn du zu tief drinsteckst, um wieder rauszukommen. Maureens Vater war von altem irischen Missouri-Stamm, und die Erinnerungen an seine Wohnzimmerwutanfälle waren so schmerzhaft, dass sie mit achtzehn den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen hatte. Jetzt hatten wahrscheinlich ihre eigenen Nachbarn Scott wüten gehört, man wusste nun, wie seine Frau und seine Kinder sich hier drinnen duckten. Alle wussten es.
Maureen spürte, wie sich die Vorhänge einer uralten, unauslöschlichen Schande über die Fenster ihres Hauses senkten. Ich muss fliehen. Wieder fliehen. Als sie elf war, war sie von zu Hause weggelaufen, niemand hatte das Klappen der Fliegengittertür gehört, da ihre ältere Schwester und ihre Mutter aus vollem Hals gegen ihren Vater anschrien. An dem Tag war sie in einem Frühlingskleid und Sandalen die Stufen hinuntergesprungen, zur Straßenecke gerannt, dann langsamer weitergegangen, als sie über die Schulter gesehen hatte, dass ihr niemand folgte. Sie war an den anderen kleinen Häusern in der Kleinstadt am Missouri vorbeigelaufen, die genau wie ihr Elternhaus waren, unter dem unmöglichen Rosa der blühenden Hartriegelsträucher entlang, vorbei an der einsamen Baptistenkirche und der altehrwürdigen, aufgegebenen Tankstelle. Sie ging mit Steinen in den Sandalen langsam an den Feldern am Stadtrand vorbei und weiter auf den leeren Horizont zu, der über grün keimenden Maispflanzen aufragte, getröstet vom Versprechen anderer Felder, die brach oder frisch gepflügt lagen, und dann ging sie weiter in die Hügel hinauf, wo die Traktoren wellenförmige Furchen über die Konturen der Landschaft zogen, bis sie schließlich allein an der Einfahrt zu einer einzelnen Farm stand. Zwei Silos hielten dort Wache, beide sahen aus wie Männer mit Armen aus Stahlrohren und einem Blechdach als Hut, und sie dachte, wie viel besser es doch wäre, einen so großen, stattlichen, stummen Vater zu haben. Diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, bis sie die Reifen hinter sich auf dem Feldweg hörte, sich umdrehte und den Streifenwagen sah, der sie kurz darauf nach Hause bringen sollte.
Jetzt würde Maureen wegfahren und ein paar Tage wegbleiben und mit ihrer Abwesenheit Scott eine Lektion erteilen. Sie würde weggehen und später entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie zurückkehrte. Aber wie sollte sie mit drei Kindern im Auto auf dem Interstate Highway zurechtkommen? Wie lange würde sie ihre Kinder in einem engen Hotelzimmer unter Kontrolle halten können? Sie sah sich mit ihren drei Kindern in einer Hotelsuite in der Nähe: Die Jungen würden unbewusst ihren Vater nachahmen und sich gegenseitig auf die Klappcouch oder gegen die Minibar schubsen. Wollte sie diese unvorhersehbare Energie, diese unberechenbare Körperlichkeit der Jungen wirklich um sich haben? Eine Frau allein mit zwei Jungen und einem kleinen Mädchen, das würde nicht funktionieren. Ihre Mutter wohnte in St. Louis, und wenn Scott mit den Kreditkarten recht hatte, dann würde sie sich kein Flugticket leisten können. In einer größtenteils schlaflosen Nacht ging Maureen ihre Optionen durch, und in der letzten Stunde vor Morgengrauen wusste sie, was sie tun würde: die Notfallkasse ausräumen, die der übervorsichtige Scott immer in einer Badezimmerschublade aufbewahrte, gleich neben dem Notrucksack fürs Erdbeben. Und dann würde sie mit Samantha ein paar Tage wegfahren, während Scott über ihre Abwesenheit nachdenken und sich um die Jungen kümmern konnte. Araceli würde den Haushalt zusammenhalten und die Männer vor dem Verhungern bewahren. Das hatte sie schon immer mal machen wollen: ein paar Tage raus mit Samantha, ein Mädchenurlaub.
Als sie die halb schlafende Samantha durchs Haus und zum Auto trug, dachte sie: Heute wird es wieder heiß. Im Augenblick allerdings war es noch frühmorgendlich kalt, und sie warf ihrer Tochter eine Decke über. Sie wollte weg sein, ehe Scott aufwachte, um weitere unerfreuliche Konfrontationen zu vermeiden und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Als sie jedoch um Viertel vor acht in die Garage kam, war sein Auto schon weg; er war ungefähr eine Stunde früher zur Arbeit gefahren als sonst. Das überraschte sie nicht, störte aber ihren Fluchtplan: Wenn sie jetzt aufbrach, wären ihre Jungen allein im Haus, denn
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