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In den Klauen des Bösen

In den Klauen des Bösen

Titel: In den Klauen des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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letzten Gespräche erstarben, als klamme Blicke das Ufer abtasteten in der Furcht, die schreckliche Gestalt könnte wieder auftauchen und noch ein Kind packen.
    Mütter hielten ihre Kinder fester; die Kinder hielten sich enger an ihre Mütter.
    Da plötzlich stieß der Bug durch die ineinander verschlungenen Äste, Zweige und Ranken, und der Wasserarm öffnete sich in eine breite Lagune.
    Vor ihnen, direkt gegenüber, lag die Anlegestelle des Moorbesichtigungszentrums.
    Die unsichtbare Hand, die Kellys Bewusstsein gesteuert hatte, entließ sie aus ihrem Griff. Kelly seufzte, in der Erwartung, versagt zu haben, aus Sorge, nicht weitergekommen zu sein - doch als sie sich umsah, lag Srubbs’ Zentrum nur noch ein paar Meter entfernt. »Ich hab’s geschafft«, sagte sie kaum hörbar, »ich habe uns heimgebracht!«
    Als Kelly das Boot unbeholfen ins Dock manövrierte, sah sie Phil Stubbs mit vor Zorn gerötetem Gesicht auf sich herabblicken.
    »Was geht hier verdammt noch mal vor!« wollte er wissen. »Wo ist Michael? Ihr hättet schon vor einer Stunde wieder da sein sollen!«
    »Michael ist nicht bei uns«, erwiderte Kelly mit entrückter Stimme, als habe sie die Frage gar nicht gehört. Da erst bemerkte Stubbs den seltsamen Blick ihrer Augen. Und schon brach ein Stimmengewirr über ihm zusammen.
    »Mein Baby!« kreischte die Frau im Heck. »Mir ist mein Baby gestohlen worden!«
    Stubbs starrte die Frau völlig verwirrt an. »Was...«
    »Es war ein Mann«, sagte eine andere Frau. »Ein fürchterlicher Alter. Er sah wie ein Wahnsinniger aus und hat ihr das Baby geraubt.« Sie steigerte sich. »Er kam aus dem Moor und hat es sich geschnappt! Unser Bootsführer ist hinter ihm her. Um Gottes willen, rufen Sie die Polizei!«
    Stubbs verschlug es die Sprache. Ein alter Mann? Wovon redeten die eigentlich? Inzwischen schrien alle auf ihn ein.
    »Nun beruhigen Sie sich doch!« versuchte Stubbs sie zu übertönen. Er wandte sich an Kelly, die mit gesenktem Kopf und finsterer Miene ins Moor hinaus starrte. »Sag mir, was geschehen ist!«
    Kelly drehte sich ganz langsam um. Ihre Stimme klang fremd und leer, als wüsste sie kaum, was sie sprach. »Wir fuhren durch einen Bayou. Am Ufer stand ein Mann, und als wir an ihm vorbeifuhren, griff er plötzlich ins Boot hinein und raubte ein Baby. Er brauchte es. Er brauchte ein Baby.«
    Phil Stubbs kniff die Augen zusammen. »Wer?« wollte er wissen. »Wer war das? Haben Sie ihn erkannt?«
    Es dauerte ein Weilchen, aber dann nickte Kelly.
    »Es war mein Großvater!«
     
    Michael fluchte laut: Er stürzte der Länge nach in den weichen Schlamm, der die Insel umgab, als sein Fuß sich unter einer Mangrovenwurzel festklemmte.
    Carl Anderson schien einfach verschwunden. Und doch hatte Michael unmittelbar vor seinem Sturz das Weinen eines Babys gehört; nur für den Bruchteil einer Sekunde - als ob jemand das Baby sofort zum Schweigen gebracht hätte.
    Michael schaute sich um. Er konnte im Dickicht ringsumher nichts erkennen: Überall sah er nur Knäuel von Mangrovenwurzeln und die merkwürdigen Zypressenknoten, die wie tote Baumstümpfe aus dem Wasser ragten, und Fichtenholz.
    Doch er fühlte Carl Andersens Nähe.
    Clarey.
    Der Name kam ihm ganz von selbst in den Sinn, und plötzlich sah er sie innerlich vor sich auf der Veranda ihrer Hütte sitzen und aufs Moor hinausschauen, in dem sie weiter über das Blickfeld der Augen hinaus Fühlung aufnehmen konnte.
    Er schloss die Augen und rief innerlich nach ihr. Er stellte sich mit angestrengtem Willen bewusst auf ihre Führung zum Versteck Carl Andersens ein.
    Allmählich nahm ein Bild Form an - das Bild einer einzeln stehenden, alles überragenden Fichte inmitten von dichtem Unterholz.
    Er öffnete die Augen und spähte.
    Die Fichte stand keine fünfzig Schritte von ihm entfernt.
    Er ging ihr entgegen, blieb innerlich jedoch voll und ganz konzentriert auf das Bild, das sein Rufen nach Clarey Lambert heraufbeschworen hatte.
    Und in diesem Bild sah er Carl Andersen deutlich vor sich - im Buschwerk zusammengekrümmt, mit dem Rücken am Baum, das Baby an sich gedrückt.
    Er sah die lose hängenden Faltensäcke im Gesicht, den fiebrigen Blick aus den tiefen Augenhöhlen, die brechenden Fingernägel.
    Michael drückte das hohe Gras auseinander, preschte vorwärts - und sah vor sich, was eben noch bloße Vision war.
    Carl lehnte tatsächlich mit dem Baby im linken Arm an dem Baum. In der rechten Hand hielt er mit zitternden Fingern eine

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