In den Klauen des Bösen
friedlich lebten. Nein, für ihren Hass auf Carl Anderson gab es auch noch andere Gründe. Seinen Namen hatte sie schon übel vermerkt, bevor er sich am Moor versündigte.
»Wen?« wiederholte Clarey, obwohl sie es seit der letzten Nacht ahnte.
In der vergangenen Nacht waren die Kinder draußen gewesen und durch den Sumpf geschwärmt, zum Schutz ihres Herrn und Meisters, der George Coulton bestrafte. Und obwohl Clarey ihr Haus nicht verlassen hatte, war sie bei ihnen gewesen; sie hatte mit erweitertem Bewusstsein Fühler ausgestreckt und ihre Bewegungen verfolgt und eine neue Präsenz wahrgenommen - die Vibrationen eines Menschen, der sie suchte.
Sie und die Kinder.
Und den Schwarzen Mann.
So etwas hatte Clarey schon einmal erlebt und gewusst, wer es war.
Michael Sheffield.
Sie war Michael jahrelang gefolgt, hatte oft gespürt, wie er im Moor unbewusst nach etwas suchte, wovon er keine genaue Vorstellung hatte. Und jahrelang hatte sie ihn ferngehalten, sich geweigert, ihn zu erfassen, ihn zu der winzigen Insel zu führen am fernen Rande des Moors, wo der Zirkel sich versammelte.
Vielleicht könnte er entkommen, wenn er nicht wusste, wer er war, und nicht an den Ritualen des Zirkels teilnahm - unbeschadet entkommen dem Umkreis des Bösen entfliehen, in den er hineingeboren war.
Letzte Nacht hatte Clarey jedoch noch eine andere Präsenz wahrgenommen, nicht so nah, dass sie außer ihr sonst noch jemand gespürt hätte, aber viel näher als je zuvor.
»Es is’ ‘n Mädchen«, sagte Quint. Erwartungsvoll schloss Clarey die Augen.
»Sie is’ zurückgekomm’«, flüsterte sie, fast ohne zu merken, dass sie laut sprach. »Er hat’s mir versproch’n, dass sie nich’ zurückkomm’ würde. Dass er sie in Ruh’ läßt.«
Sie brach ab. Quint Millard schaute sie an.
»‘s is’ aber eine von uns«, sagte Quint. »Hab’s gleich gemerkt.«
»Hat sie dich geseh’n?« fragte Clarey.
Quint zögerte, nickte dann aber doch, weil er wusste: Es hatte keinen Zweck, Clarey anzulügen. »Sie wollt’ mir folgen. Konnt’ se aber nich’, sie wusst’ ja nich’ wie. Ich bin ganz nah geblieb’n, damit ihr nix passiert.«
Clarey entrang sich ein schweres Seufzen. »Hast du gut gemacht, Quint. Aber hört! Ich glaub’, hier kommt bald die Polizei schnüffeln, und ich denk’, ‘s wär’ besser, wenn ihr beide nix sagt. Bleibt stikkum. Verstand’n?«
Quint nickte, doch Jonas kniff die Augen zusammen. »Un’ was soll ich sag’n, wenn sie mich find’n?«
Clareys Lippen zogen sich verbittert zusammen. »Du sagst gar nix. Was hier passiert, geht keinen ‘was an. Wenn du der Polizei ‘was sagst, kann ich dir genausowenig helfen wie ich George Coulton helfen konnt’. Also, versteckt euch! Un’ haltet den Mund!«
Jonas blickte schweigend in seinen Schoß. »Es is’ nich’ recht!«, sagte er.
Clarey fühlte mit ihm. Nein, es war nicht recht. An der ganzen Geschichte war nichts recht. Aber das machte keinen Unterschied. Die Dinge waren nun einmal nicht anders. »Geh’ schon, Jonas«, sagte sie leise. »Such dir’n Versteck. Un’ mach dir keine Gedanken. Es is’ nich’ deine Schuld.«
Jonas Cox schien unsicher, ob er ihr glauben sollte. Als er endlich nickte, stieß Quint Millard das Boot ab und legte sich in die Ruder. Das kleine Boot drehte und war gleich darauf unter dichtem Laubwerk verschwunden.
Der Kessel auf dem Herd in der Hütte begann zu kochen. Sie warf eine Hand voll Kaffeemehl in den Topf und goß Wasser darauf. Das Mehl schwamm an der Oberfläche. Clarey fügte eine Prise Salz hinzu. In fünf Minuten würde das Mehl auf den Boden sinken und der Kaffee fertig sein - genau so, wie sie ihn mochte.
Sie hatte inzwischen über einiges nachzudenken.
Sie wusste, wer das Mädchen war, das Jonas gesehen hatte. Sie hatte gebetet, dass der Tag nie kommen würde. Aber das Mädchen war zurückgekommen. Nun befand sich auch das letzte Kind im Dorf.
Der Junge und das Mädchen würden sich finden und sofort erkennen.
Und dann auch verstehen, wer sie waren.
Sie würden nach ihr suchen.
Nach Clarey und den anderen Kindern.
Und nach dem Schwarzen Mann.
Und dann würden sie in den Zirkel aufgenommen - egal, was ihr der Schwarze Mann auch immer versprochen hatte.
Das Böse, das Clarey so lange hatte eindämmen können, würde ausbrechen.
Und wenn es einmal ausgebrochen war, würde es sich nicht mehr begrenzen lassen aufs Moor...
Clarey verdrängte den düsteren Gedanken.
Hier im Moor hatte die Sache
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